Alles, was Du schon immer zu Leder und Siegeln wissen wolltest

Loveco im Gespräch mit dem Verband der Deutschen Lederindustrie und einem deutschen Gerber

Lesedauer: 9 Minuten

Wir freuen uns immer, uns mit Anderen in der Branche auszutauschen – trotz Differenzen. Wir sind ein veganes Fair Fashion Unternehmen: Warum es trotzdem interessant sein kann, sich mit dem Verband der Deutschen Lederindustrie und einem Gerber auszutauschen, kannst Du in diesem Interview herausfinden.

Wie kam es zu diesem Gespräch?

Der Austausch ist durch eine Reaktion von Andreas Meyer vom Verband der Deutschen Lederindustrie auf unseren Newsletter zustande gekommen. Wir hatten einige Fakten aufgelistet, warum die Lederproduktion aus unserer Sicht umweltschädlich ist und Tierleid erzeugt. Tatsächlich wurden im Newsletter Daten nicht optimal recherchiert. Wir suchten den direkten Kontakt, baten um ein Gespräch und entschuldigten uns (siehe unten). Erst erschien es uns in der Unterhaltung, als könnte es kaum Übereinstimmungen mit unseren Gesprächspartnern geben. Spoiler: Es gab doch welche! 


Hier nochmal kurz etwas zu unserem veganen Ansatz, auf dem auch der Newsletter beruhte:

Es geht uns dabei vorrangig um Tierwohl, aber auch um ökologische Auswirkungen der Lederindustrie. Wir sprechen immer von der globalen Lederindustrie und haben uns nicht den deutschen und europäischen Ledermarkt herausgepickt. Uns geht es darum, viel weiter vorn anzufangen, nicht erst bei der Schlachtung der Tiere, sondern beim CO2- und Methanausstoß in der Tierhaltung. Außerdem werden für den Anbau von Tierfuttermittel sowie für die Tierhaltung für Fleisch- und Lederindustrie große Flächen des Regenwaldes abgeholzt. 

Wir bedienen ein Publikum, das sich sehr explizit gegen tierische Produkte ausspricht. Ich lebe selbst auch vegan. Menschen wie ich, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, neigen ja nicht dazu, einen Lederschuh zu tragen, weil sie denken, das sei ein Abfallprodukt. Dazu kommen andere Aspekte, wie z.B. warum sollten sie sich mit einem Lederschuh kleiden, wenn sie als Veganer:in sowieso nicht für das “Abfallprodukt” verantwortlich sind.

Außerdem gibt es noch den ökologischen Aspekt: Die Lederproduktion in Asien ist in manchen Regionen immer noch wahnsinnig schmutzig. Das zeigt z.B. die Doku von Christian Jentzsch, die 2021 herauskam und in der unser Gesprächspartner Thomas Heinen auch vorkommt. In den letzten Jahren hat sich leider nicht viel an der Situation getan. Wir möchten den Verbraucher:innen zeigen, dass es lederfreie Alternativen gibt. 

Die Gesprächsteilnehmer:innen

Andreas Meyer (AM) ist Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Lederindustrie. Der VDL vertritt in erster Linie die Interessen der Gerbereien, aber auch der vor- und nachgelagerten Bereiche. Er ist gelernter Landwirt und hat viele Jahre in den tierischen Nebenprodukten gearbeitet.

Thomas Heinen (TH) ist Geschäftsführer und Inhaber der Lederfabrik Heinen. Er produziert in vierter Generation in Wegberg Leder für Schuhe, vor allem Wander- und Komfortschuhe. Die Lederfabrik Heinen existiert seit 1891 und arbeitet vollstufig, das heißt sie produzieren alles von der rohen Haut bis zum fertigen Material. Seit zwei Jahren haben sie den ersten Produktionsschritt zur Tochterfirma nach Polen ausgelagert. Gefärbt, gefettet und zugerichtet wird noch in Deutschland. Die Häute stammen aus Deutschland, Dänemark, Polen und den Niederlanden.

Paul Pollinger (PP) führte das vegane und nachhaltige Schuhlabel “freivon”, bei dem die Produkte in Deutschland handgefertigt wurden. Dadurch kennt er sich gut mit den Themen Leder, Kunststoffe und Nachhaltigkeit aus und hat bereits auf einem Event bei uns über lederfreie und nachhaltige Schuhe gesprochen. Mittlerweile betreibt er mit seiner Frau Sarah die “Vetzgerei” – eine vegane Metzgerei – in Berlin. Paul wurde von unserer Gründerin Christina eingeladen, an diesem Gespräch teilzunehmen.

Christina Wille (CW) ist Gründerin und Geschäftsführerin von Loveco. Sie beschäftigt sich seit mehr als 10 Jahren mit nachhaltiger und veganer Textilproduktion.

Hier kommt jetzt der zweite Teil des Gesprächs für Dich, in dem es um Leder & Siegel geht.
Zum ersten Teil: Da geht’s um Leder & seine Herstellung.
Zum dritten Teil: Da geht’s um die globale Lederindustrie & Fast Fashion.

Gibt es im Bereich Leder Siegel, denen man vertrauen kann?

CW: “Ich würde gerne nochmal auf unseren ersten Kontakt nach dem Loveco Newsletter zurückkommen. Herr Meyer hatte nachgehakt, wo die 1,4 Milliarden Tiere zu Milliarden Tieren wurden, die nur für die Lederproduktion gehalten werden. Dafür muss ich mich entschuldigen, das ist tatsächlich schlecht recherchiert gewesen und aus dem Kontext gerissen worden. Das hat auch bei uns im Unternehmen eine Debatte losgetreten, wie wir mit Zahlen und Fakten arbeiten und unsere Quellen angeben wollen. Sie hatten ja bereits gesagt, dass die 1,4 Milliarden Tiere für die Fleischproduktion getötet werden. Was hier vermittelt werden sollte, war, dass Leder das wichtigste Nebenprodukt für Schlachtereien und einen hohen wirtschaftlichen Faktor darstellt.

Ich glaube auch, dass wir uns in vielen Bereichen sehr nahe stehen. Ich habe Respekt für Ihre Arbeit und dafür, dass Sie versuchen, etwas zu verändern. Auch weiß ich, dass es viel Arbeit ist, die Einzelhändler:innen von Aufklärungsarbeit zu überzeugen, weil es für sie natürlich schwierig ist, zu erklären, dass die Schuhe unterschiedlich produziert sind. Das Problem haben wir natürlich nicht, weil unser gesamtes Sortiment nach den gleichen Kriterien produziert wurde.

Das wäre dann auch meine Kritik oder Frage: Warum wird denn nicht mit mehr Siegeln zusammengearbeitet? Nicht nur auf dem deutschen, sondern auch auf dem europäischen Markt. Es gibt ja Siegel, wie zum Beispiel den IVN Naturleder. Das kennen Sie wahrscheinlich besser als ich. Es gibt ja schon gewisse Standards in Europa, die man einsetzen könnte, um es für die Verbraucher:innen transparenter zu machen. Das löst nicht alles. Es gibt natürlich auch Kritik an Zertifikaten und Siegeln, die finde ich auch gerechtfertigt. Wir wissen auch aus der Textilproduktion, wie schwer es ist, immer wieder in die Produktion zu fahren und auch unangekündigt das zu entdecken, was man entdecken will – nämlich, dass man auch Sachen verbessern kann und dass es auch Missstände gibt. Warum wird das nicht weiter vorangetrieben?”

TH: “Wir haben verschiedene Siegel im Einsatz. Wir machen eigentlich das, was es in der Lederwelt gibt. Wir haben Ökotex, ein Produktsiegel, das einen Artikel auf Schadstoffe testet. So ein Siegel kostet ca. 5.000 Euro pro Artikel und Farbe. Da wird eine Unmenge an chemischen Tests gemacht mit dem Leder, um es dann als schadstofffrei nach Ökotex zu deklarieren. Jetzt gibt es auch Ökotex Step, bei dem der Standort der Lederherstellung auditiert wird. Hier werden auch die Abwasserreinigung, Energieversorgung und chemischen Einsatzstoffe angeschaut. Das Audit machen wir in den nächsten Wochen. 

Das größte Audit in der Lederwelt ist die Leather Working Group, die von Nike, Timberland und Clarks initiiert wurde, um ihre Lieferanten zu zertifizieren. Vor einigen Jahren gab es aber gar keine Zertifizierungen für Gerbereien, da ist Textil immer einen Schritt voraus gewesen. Das LWG Audit ist recht komplex geworden und sehr stark auf asiatische Gerbereien ausgerichtet. Wir haben das vor einigen Jahren zum ersten Mal gemacht und obwohl wir es mit voller Punktzahl erfüllt haben, würden wir in Deutschland immer noch illegal arbeiten. Dann haben sie einiges angepasst und nach Gesprächen mit ihnen haben wir jetzt auch Goldstandard. Sie schauen sich Wasser- und Energieverbrauch an, aber keine Schadstoffe. In dem Bereich ist Ökotex besser. Komplett ausgeschlossen werden CO2-Emissionen bei der LWG. Deshalb nutzen wir jetzt auch ECOL, Energy Controlled Leather, bei dem ein Produkt Carbon Footprint ermittelt wird.

Unterm Strich ist es so: Es gibt einige Labels, aber kein Label bildet alles ab. Deswegen arbeiten wir mit verschiedenen Labels und versuchen, damit die kritischen Teile einer Gerberei abzudecken. Doch dann sind wir wieder bei den Kosten.

Unterschiedliche Kunden möchten unterschiedliche Dinge haben. Unterm Strich muss ich alles abdecken. Das möchte ich auch. Doch diese Labels nach außen zu tragen ist im Marketing so aufwendig, dass wir uns irgendwann dazu entschlossen haben: Das machen wir so nicht mehr. Diese ganzen Labels machen wir “im Hintergrund” und vermarkten sie nach außen nicht. Nach außen hin sprechen wir nur von Terra Care und hinter Terra Care machen wir den ganzen Label-Zirkus mit und wenn uns irgendwer fragt: Habt Ihr denn das auch? Dann haben wir die Urkunde, die wir schicken können.” 

AM: “Im Handel hören wir, dass wenn die Verkäufer ein Sofa mit Terra Care Leder dastehen haben, nach allen möglichen Sachen zertifiziert und ein anderes ohne Siegel, dann sagen die Verbraucher: Ich möchte dieses Sofa aber mit dem Siegel. Um dem aus dem Weg zu gehen, schneiden die Verkäufer die Labels lieber vorher ab.

Wichtige Siegel für Leder

Naturleder IVN (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e.V.)
– Umweltbelastung, Gefahrenstoffe, Entsorgung und Recyclingfähigkeit des Leders
– Gerechte Arbeitsbedingungen 
– Alle Herstellungsstufen von der Rohware bis zum Verkauf und Gebrauch des fertigen Leders (nicht des verarbeiteten Lederprodukts) 

LWG (Leather Working Group)
– Wasser- und Energieverbrauch, Abfallwirtschaft, Luftverschmutzung und Lärmbelästigung, Chemikalienmanagement
– Zurückverfolgbarkeit der Produkte durch Händler und Lieferanten

Leather Standard by Ökotex
– Nur das Endprodukt wird untersucht
– Überprüfung auf Schadstoffe und gesundheitsbedenkliche Chemikalien

STeP by Ökotex
– Dauerhafte umweltfreundliche Produktionsprozesse
– Effiziente Ressourcennutzung
– Verantwortlicher Chemikalieneinsatz, Umgang mit Abwässern und Emissionen
– Reduzierung des CO2-Fußabdrucks 

Blauer Engel Leder
– Möglichst geringe Umwelt- und Gesundheitsbelastungen von der Produktion über die gesamte Nutzungsdauer, bis hin zur Verwertung und Entsorgung
– Gesundheitlich unbedenkliches Material

bluesign product
– Verbraucher:innenschutz, bestmögliche Umweltleistung bei der Herstellung der Textilchemikalien und der Textilien
– Schutz der Arbeiter:innen
– Optimale Ressourceneffizienz
– Verantwortungsvoll produzierte Materialien (wie Textilien und Accessoires) und Chemikalien

ECO₂L (Energy Controlled Leather)
– Berechnungs- und Auditierungsmodell zur Ermittlung der Energieeffizienz und der CO₂-Emission einer Gerberei
– Vergleich des standort- und produktionsbezogenen tatsächlichen Energieverbrauchs mit der Benchmark in Orientierung an die von der EU vorgegebenen „Best Verfügbaren Techniken zum Gerben von Häuten und Fellen“
– Entwickelt vom Verband der Deutschen Lederindustrie in Zusammenarbeit mit der Forschungsgemeinschaft Leder e.V.

Terra Care
– firmeneigenes Siegel, entwickelt und genutzt von Lederfabrik Josef Heinen Gmbh & Co. KG

Hinweis: Keines dieser Siegel bildet alle Bereiche und Faktoren für eine nachhaltige Herstellung ab. Eine Einschätzung und Bewertung vieler Siegel findest Du auf der Webseite von Siegelklarheit.

Wie steht der Verband der Deutschen Lederindustrie zu Greenwashing?

AM: “Ich würde gern über ein anderes Beispiel sprechen: Ich habe bei Aldi zwei Öko-Tex geprüfte Business Baumwollhemden für 19,98 Euro gesehen. Wie kann man so etwas herstellen? Wenn man all die Nachhaltigkeitsanforderungen, die wir jetzt hier besprochen haben, einhalten will?”

TH: “Das ist genau das, was ich gesagt habe: Ökotex testet ja nur auf Schadstoffe. Dieses Shirt ist irgendwo preiswert produziert worden. Die konzentrieren sich auf die Schadstoffe, die auf keinen Fall drin sind, das ist gut. Alles andere wird ausgeblendet. Dann bist Du wieder bei unter 20 € für Dein Business Shirt. Das passt natürlich überhaupt nicht zusammen.”

CW: “Genau dagegen kämpfen wir ja auch, weil wir natürlich auch im Bekleidungsbereich das Problem haben, dass gerade alle großen Ketten wie Zalando, H&M und Primark auf diesen Zug aufspringen und das Beispiel ist ja nichts anderes. Da wird dann bei einem Teil ein wenig Bio-Baumwolle beigemischt und plötzlich ist das “nachhaltig”. Das ist ja im Lederbereich nicht anders und die Problematik verstehe ich total. Das ist Verbrauchertäuschung und es gibt unterschiedliche Ansätze, wie man wirklich ernsthaft produziert.”

AM: “Deshalb glauben wir, dass es weniger gut ist, immer auf die Anderen zu zeigen und zu sagen, die sind böse und wir sind gut. Ich hatte das am Anfang so verstanden, dass Sie das auch probieren und das hat Herr Heinen ja auch gesagt: Wir müssen versuchen, dem Verbraucher in den Bereichen eine Orientierung zu bieten, in denen wir gut sind oder schon eine gewisse Transparenz erreicht haben. Nur auf Andere zu zeigen, verunsichert immer mehr.”

Unser Fazit

Wir nehmen aus dem Gespräch mit, dass wir unsere Fakten besser recherchieren und aufbereiten müssen. Außerdem haben wir gelernt, dass es auch im Lederbereich Siegel gibt, die bestimmte Bereiche nach einigen Maßstäben zertifizieren können, aber dass das eben immer noch ein komplexes Thema ist – am meisten natürlich für Verbraucher:innen. 

Wir finden: Das Thema  Siegel ist bei Leder und Textil ausbaufähig. Wir würden uns wünschen, dass hier mehr auf vertrauenswürdige Siegel wie den des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN) geachtet wird. 

Trotz Siegel sind wir immer noch davon überzeugt, dass es Alternativen zu Leder gibt. Das Beispiel zeigt mal wieder, wie kompliziert der Siegel-Dschungel auch hier ist. Vor einiger Zeit haben wir bereits mit einem Experten über Textilsiegel gesprochen und versucht, dort etwas Klarheit ins Dunkel zu bringen. 

Natürlich haben wir uns mit Andreas Meyer und Thomas Heinen über noch viele andere Themen unterhalten. 
Zum ersten Teil des Interviews geht’s hier: Da geht’s um Leder & seine Herstellung.
Im dritten Teil sprachen wir über die globale Lederindustrie und Fast Fashion.

Foto: Lena Scherer

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