Leder: Ja oder nein? Loveco im offenen Gespräch mit dem Verband der Deutschen Lederindustrie und einem deutschen Gerber

Lesedauer: 15 Minuten

Wir freuen uns immer, uns mit Anderen in der Branche auszutauschen – trotz Differenzen. Wir sind ein veganes Fair Fashion Unternehmen: Warum es trotzdem interessant sein kann, sich mit dem Verband der Deutschen Lederindustrie und einem Gerber auszutauschen, kannst Du in diesem Interview herausfinden.

Wie kam es zu diesem Gespräch?

Der Austausch ist durch eine Reaktion von Andreas Meyer vom Verband der Deutschen Lederindustrie auf unseren Newsletter zustande gekommen. Wir hatten einige Fakten aufgelistet, warum die Lederproduktion aus unserer Sicht umweltschädlich ist und Tierleid erzeugt. Tatsächlich wurden im Newsletter Daten nicht optimal recherchiert. Wir suchten den direkten Kontakt, baten um ein Gespräch und entschuldigten uns (siehe Leder & Siegel, Teil 2 des Gesprächs). Erst erschien es uns in der Unterhaltung, als könnte es kaum Übereinstimmungen mit unseren Gesprächspartnern geben. Spoiler: Es gab doch welche! 

Hier nochmal kurz etwas zu unserem veganen Ansatz, auf dem auch der Newsletter beruhte:

Es geht uns dabei vorrangig um Tierwohl, aber auch um ökologische Auswirkungen der Lederindustrie. Wir sprechen immer von der globalen Lederindustrie und haben uns nicht den deutschen und europäischen Ledermarkt herausgepickt. Uns geht es darum, viel weiter vorn anzufangen, nicht erst bei der Schlachtung der Tiere, sondern beim CO2- und Methanausstoß in der Tierhaltung. Außerdem werden für den Anbau von Tierfuttermittel sowie für die Tierhaltung für Fleisch- und Lederindustrie große Flächen des Regenwaldes abgeholzt. 

Wir bedienen ein Publikum, das sich sehr explizit gegen tierische Produkte ausspricht. Ich lebe selbst auch vegan. Menschen wie ich, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, neigen ja nicht dazu, einen Lederschuh zu tragen, weil sie denken, das sei ein Abfallprodukt. Dazu kommen andere Aspekte, wie z.B. warum sollten sie sich mit einem Lederschuh kleiden, wenn sie als Veganer:in sowieso nicht für das “Abfallprodukt” verantwortlich sind.

Außerdem gibt es noch den ökologischen Aspekt: Die Lederproduktion in Asien ist in manchen Regionen immer noch wahnsinnig schmutzig. Das zeigt z.B. die Doku von Christian Jentzsch, die 2021 herauskam und in der unser Gesprächspartner Thomas Heinen auch vorkommt. In den letzten Jahren hat sich leider nicht viel an der Situation getan. Wir möchten den Verbraucher:innen zeigen, dass es lederfreie Alternativen gibt. 

Die Gesprächsteilnehmer:innen

Andreas Meyer (AM) ist Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Lederindustrie. Der VDL vertritt in erster Linie die Interessen der Gerbereien, aber auch der vor- und nachgelagerten Bereiche. Er ist gelernter Landwirt und hat viele Jahre in den tierischen Nebenprodukten gearbeitet.

Thomas Heinen (TH) ist Geschäftsführer und Inhaber der Lederfabrik Heinen. Er produziert in vierter Generation in Wegberg Leder für Schuhe, vor allem Wander- und Komfortschuhe. Die Lederfabrik Heinen existiert seit 1891 und arbeitet vollstufig, das heißt sie produzieren alles von der rohen Haut bis zum fertigen Material. Seit zwei Jahren haben sie den ersten Produktionsschritt zur Tochterfirma nach Polen ausgelagert. Gefärbt, gefettet und zugerichtet wird noch in Deutschland. Die Häute stammen aus Deutschland, Dänemark, Polen und den Niederlanden.

Paul Pollinger (PP) führte das vegane und nachhaltige Schuhlabel “freivon”, bei dem die Produkte in Deutschland handgefertigt wurden. Dadurch kennt er sich gut mit den Themen Leder, Kunststoffe und Nachhaltigkeit aus und hat bereits auf einem Event bei uns über lederfreie und nachhaltige Schuhe gesprochen. Mittlerweile betreibt er mit seiner Frau Sarah die “Vetzgerei” – eine vegane Metzgerei – in Berlin. Paul wurde von uns eingeladen, an diesem Gespräch teilzunehmen.

Christina Wille (CW) ist Gründerin und Geschäftsführerin von Loveco. Sie beschäftigt sich seit mehr als 10 Jahren mit nachhaltiger und veganer Textilproduktion.

Hier kommt jetzt der erste Teil des Gesprächs für Dich, in dem es um Leder & seine Herstellung geht.
Im zweiten Teil war das spannende Thema Leder & Siegel.
Beim dritten Teil ging es um die globale Lederindustrie und Fast Fashion.

Wie steht es um den Energieverbrauch bei der Lederproduktion?

AM: “Wir versuchen den Artikel Leder, den es schon lange gibt, in Europa weiterzuentwickeln. Wir haben sehr strenge Umwelt- und Chemikalien-Richtlinien. Gerade die Firma Heinen ist ein Beispiel dafür, was man heute tun kann. 

Wir sind uns der Diskussion um CO2 bewusst. Leder steht dort schlechter da als Kunststoff. Wir finden, dass Leder diesen “Rucksack” an Emissionen aus der Landwirtschaft mittragen sollte. Wir rechnen in das Leder mit hinein, dass Rinder in der Landwirtschaft Emissionen ausstoßen. Bei Kunststoffen sieht das anders aus, deshalb stehen sie oftmals besser dar. Für uns sind Rinder Teil des Kreislaufes. Diese Unterscheidung wird bei der Bestimmung von CO2 häufig nicht gemacht: Das Rind frisst Gras und stößt bei der Verdauung Methan aus, das sich nach 10 Jahren zersetzt und als CO2 zurück ins Gras gelangt. Dieses Gras wird wieder von einem Rind gefressen – somit Kreislauf Co2.

Bei Kunststoff ist das anders. Das CO2, welches durch Kunststoff freigesetzt wird, hat eine Bedeutung als sogenanntes Lager CO2. Die Grundstoffe des Kunststoff werden aus Erdöl hergestellt und werden danach nie wieder Erdöl, also gehen nicht mehr zurück in einen Kreislauf. Dieses CO2 bleibt in der Atmosphäre, das Lager wurde aufgelöst.

Wir glauben, dass wir uns mit unserem Leder nicht mehr verstecken müssen. Man kann durchaus Leder nachhaltig produzieren. Sie haben gesagt, dass sie sich auf die globale Produktion beziehen. Natürlich können wir oder die Gerberei Heinen uns nicht um die ganze Welt kümmern, aber wir können vor Ort einen Unterschied machen. Wir verarbeiten die Häute von Tieren, die unter hohen Tierwohl-Standards gehalten werden. Auch die Gerber sind davon abhängig, dass die Häute, die sie erhalten, von Tieren aus guter Haltung stammen. Sonst sehen die Häute nicht so aus, wie man sie verwenden möchte.

An den globalen Aspekten mag etwas dran sein, vor allem, wenn es um die Abholzung von Regenwäldern geht. Allerdings habe ich noch nicht herausbekommen, wie das in Bezug auf Soja ist: Wird das angebaute Soja für die menschliche Ernährung genommen oder als Futtermittel? Das ist sicher sehr komplex, weil die Sojapflanze nicht in Gänze für Nahrungsmittel genutzt wird, sondern nur Teile davon. 

Deshalb haben wir uns über den Dialog gefreut. Schließlich können wir auch in Zukunft davon lernen. Uns eint ja, dass eine reine Umstellung auf Plastik nicht die Lösung ist. Vielleicht kann Herr Heinen aus seiner Erfahrung in der Produktion und über bewusste Entscheidungen beim Einkauf sprechen, da er als Produzent in Deutschland häufig mit dem Thema globaler Abholzung etc. zu tun hat. Schließlich gibt es auch beim Leder Alternativen zu den Materialien aus globaler Produktion.”

Ein großer Teil der Lederherstellung passiert in Gerbereien. Wie genau arbeiten die?

Das Material Leder in einer Gerberei

TH: “Erstmal möchte ich sagen, dass ich es gut finde, dass es solche Läden wie Ihre gibt, Frau Wille. Ich vertrete nicht in allen Aspekten Ihre Meinung, aber Sie erziehen die Konsumenten dazu, darüber nachzudenken, was sie kaufen. Leider ist das genau das Thema, an dem wir Gerber in den letzten Jahren gescheitert sind, d.h. zu zeigen, dass es wichtig ist, was für ein Leder gekauft wird. Sie tragen dazu bei, dass die Konsumenten Dinge hinterfragen.

Wir Gerbereien stehen seit Jahrhunderten in der Kritik. Im Mittelalter sind wir vor die Stadttore verbannt worden und das war richtig. Eine Gerberei ging immer mit schwierigen Produkten um. Von roher Haut geht eine Seuchengefahr aus, wenn sie nicht vernünftig behandelt wird. Außerdem natürlich dann die Chemikalien.

Für mich ist es allerdings zu kurz gedacht, zu sagen, dass das noch in allen Gerbereien weltweit der Fall ist. Ich hoffe, dass Sie das heute mitnehmen können. 

Für mich ist es der falsche Weg, über eine globale Industrie zu urteilen. Auch die Textilindustrie, von der Sie ein Teil sind, ist global betrachtet eine Vollkatastrophe. Sie und auch ich versuchen uns davon abzusetzen, indem wir sagen: Wir wollen es besser machen. 

Da gibt es verschiedene Ansätze und wir sind noch lange nicht da, wo wir hinmüssen. Sie vielleicht, aber wir nicht. Wir kämpfen jeden Tag dafür, bestimmte Aspekte zu verbessern: Chemikalien und „restricted substances“ (eingeschränkt nutzbare Substanzen), CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, soziale Verantwortung oder Arbeitssicherheit. Es macht Sinn, sich genau mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Auf Ihrer Internetseite sehe ich, dass sie alle Menschen kennen, die mit ihren Produkten gearbeitet haben und ich finde, das ist der richtige Ansatz.

Wir möchten auch, dass unsere Kunden wissen, wie wir das Leder herstellen und wo die Haut herkommt. Eine große Transparenz von der Kuh zum Schuh. 

Mein Problem ist allerdings, dass unsere Kunden uns nicht vermarkten und erzählen wollen, was wir alles tun. Sie möchten nicht von ihrer Marke ablenken. 

Ich finde, dass es eigentlich darum geht, ein Produkt genau zu kennzeichnen und den Konsumenten zu zeigen: Was ist das? Und was für ein Rattenschwanz hängt da dran? Wo kommt es her? Wer hat es gemacht? Welche CO2 Emissionen gehen damit einher? Wie viel Wasser? Das muss erkennbar sein. Nur so können sich Konsumenten ein Urteil erlauben und eine bewusste Entscheidung treffen. Dafür haben wir auch bestimmte Siegel.

Der ganze Kontext Regenwald und Veganismus – das ist uns bewusst. Ich habe mich schon seit der Greenpeace Kampagne “Burning Down the Amazon” vor 20 Jahren damit befasst und finde es hervorragend, dass Greenpeace so etwas macht. Leider hat Brasilien nachwievor einen Präsidenten, der sich für so etwas nicht einsetzt. Natürlich gibt es im Amazonas-Gebiet noch zigtausend Rinderfarmen, die nicht registriert sind. Da wird Regenwald abgeholzt. Wir sprechen mit unseren Kunden darüber, weil einige auch Leder in Südamerika eingekauft haben. Wir haben sie zum Teil davon überzeugen können, zumindest Südamerika fallen zu lassen. Da können wir ein bisschen Einfluss auf unsere Kunden nehmen.

Doch letztendlich regiert Geld die Welt: Wenn sie ihre Schuhe 50 Euro teurer machen, dann werden sie weniger verkaufen. Unsere Kunden kaufen bei unserer Firma eines der teuersten Leder, das es weltweit gibt. Wenn sie in Südamerika einkaufen würden, dann könnten sie einen ganz anderen Schuhpreis anbieten. Herr Pollinger, das werden Sie ja auch in ihrer Arbeit gemerkt haben. Ich weiß auch, dass ich in meinem Unternehmen noch viele Dinge verbessern könnte, aber dann würde der Quadratmeter wieder 50 Cent teurer werden und man würde uns rausschießen.

Deshalb versuchen wir es über Aufklärung, Transparenz und externe Audits.

Zum veganen Aspekt kann ich noch sagen: Ich esse seit 50 Jahren kein Fleisch und bin damit der Joke der Lederindustrie.”

Welche Tiere werden für Leder geschlachtet?

AM: “Aus meiner Erfahrung haben wir bei Leder ein Nebenprodukt aus der Schlachtung. Deshalb habe ich auch auf ihren Newsletter geantwortet, in dem Sie schrieben, dass Tiere nur für Leder geschlachtet werden. Bis heute weiß ich nicht, welche Tiere das sein könnten.

Natürlich muss ich eins auch sagen: Wir in der Lederbranche haben ein endliches Produkt. Es ist anders als bei “normalen” Textilien – wir können nur soviel Leder herstellen, wie Tiere geschlachtet werden. Wegen uns schlachtet niemand Tiere. Bei Erdöl ist es anders: Wenn die Nachfrage nach Polyester hoch ist, wird mehr Polyester hergestellt. Bei der Lederproduktion hängen wir 1:1 von der Schlachtung ab.

Ich war jahrelang im Hauthandel tätig. Wir schmeißen schon sehr lange vor allem Schaffelle in Deutschland oder Europa weg, weil es nicht mehr lohnt. Die Arbeit, die man hineinstecken muss, ist zu teuer. Trotzdem werden die Tiere geschlachtet.

Es ist kein Wertbestandteil, wodurch die Schlachtindustrie aufhört zu schlachten. Von dieser Vorstellung müssen Sie sich verabschieden. Es wird kein Rind oder Schaf geschlachtet für die Haut.”

Sind Kühe in Indien heilig oder nicht?

PP: “Es gibt Länder auf der Welt, in denen Tiere für ihre Haut sterben. Da gibt es genug Berichte. Laut Schätzungen sind es einige Millionen – aber wie das immer bei illegalen Sachen ist, da hat man natürlich keine genauen Zahlen.

AM: “Sie meinen die heiligen Kühe?”

PP: “Genau.”

AM: “Die werden nicht geschlachtet, die heiligen Kühe sind heilige Kühe. Die Leute nutzen sie für die Milch.”  

PP: “Ja, sicher teilweise, aber sie werden über die Grenze getrieben, wo sie dann offiziell geschlachtet werden dürfen und wie viel Milch da jetzt am Ende rauskommt, ist fraglich…” 

Mehr zum Thema Rinderschlachtungen und Lederproduktion in Indien

Süddeutsche Zeitung Magazin “Das schmutzige Geschäft mit indischen Kühen
Das Erste “Indien: Schlachthöfe für die „Heilige Kuh
Frankfurter Allgemeine Zeitung “Nichts mehr heilig
Handelsblatt “Milch- und Fleischgigant trotz heiliger Kühe 
Deutschlandfunk “Die heilige Kuh und der mordende Mob” 
Reuters “Cattle slaughter crackdown ripples through India’s leather industry
Independent “How India’s sacred cows are beaten, abused and poisoned to make leather for high street shops
Süddeutsche Zeitung “Heilige Kühe im Wahlkampf
Berliner Zeitung “Kuh-Wissenschaft in Indien: Wenn Kühe ein Erdbeben verhindern sollen” 

Wie Du siehst, gab es hier kaum Einigkeit unter den Diskussionsteilnehmer:innen… Aber es gab noch andere Themen, bei denen wir uns auf einer Ebene finden konnten.

Was hat die Lederproduktion mit Staat und Konsument:in zu tun?

PP: “Ich würde gern erstmal etwas zu den Dingen sagen, bei denen wir uns einig sind. Natürlich ist es immer ein Problem – auch beim Veganismus – mit dem Thema Soja. Welches Soja ist es nun, das im Amazonas angebaut wird? Sind da nicht auch die Veganer:innen dran Schuld? Damit haben wir als wirklich nachhaltig lebende Veganer:innen immer wieder Diskussionen und Rechtfertigungen. Man kann nicht vom großen Ganzen darauf schließen, wie es im Einzelfall ist. Ich bin ein großer Freund von Ordnungspolitik und glaube auch, dass Ordnungspolitik viele Dingen regeln könnte. (Anm. d. Redaktion: Ordnungspolitik umfasst wirtschaftspolitische Regeln, welche die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln festlegen.) 

Wir haben schon darüber gesprochen, dass natürlich ein Preisdruck entsteht, wenn wir nicht nur Leder, sondern auch anderen “Schrott” irgendwoher importieren, wo er nicht unter hinnehmbaren Arbeits- und Umweltbedingungen produziert wird. Das muss staatlich geregelt werden. Ich glaube, dass Aufklärung bei Verbraucher:innen wichtig ist, aber dass das nicht der stärkste Hebel ist, den wir haben. Ich halte es für wichtig, Leute aufzuklären und sich dafür einzusetzen, wie wir das alle tun, aber ich glaube mittlerweile, dass das einer der größten Tricks der freien Marktwirtschaft war: Uns als Verbraucher:innen einzureden, dass wir die Welt retten können, wenn wir nur genug lesen und recherchieren.

Herr Heinen, Sie haben ja auch bereits angesprochen, dass diese Preise eben auch Ihre Wirtschaftlichkeit beeinflussen, wenn Sie weitere Dinge umsetzen würden.

Allerdings möchte ich Herrn Meyer mit ein paar Zahlen widersprechen: Sojaanbau für den Menschen machen ungefähr 0,2% aus. Der Rest ist Tierfutter und andere Verarbeitung.

Sojaanbau: Fluch oder Segen?

Außerdem würde ich gern Ihrer Rechnung mit dem CO2 Kreislauf widersprechen. Diese Rechnung wird auch gern bei Holzöfen angebracht. Ich finde das schwierig, weil man die Senken-Wirkung, die der Wald hatte, als er noch intakt da stand, nur sehr schwer berechnen kann. Mittlerweile sind sich Umweltinstitute einig, dass man eine Kuh, die Gras frisst, nicht mit einem intakten Urwald vergleichen kann, weil das rechnerisch nicht aufgeht. Der intakte Urwald ist auf jeden Fall immer besser als alles andere, was darauf angebaut oder weiden könnte.

Ich denke, wir sind uns in vielen Dingen einig, aber wir können eben einfach nicht die Tierhaltung außen vor lassen, die vor der Lederproduktion stattfindet. Egal, wie wassersparend die Lederherstellung ist, selbst wenn es die beste der Welt ist – davor ist immer noch die Kuh da.

Mehr zum Thema Sojaanbau im Regenwald

Neue Zürcher Zeitung “Wer Soja isst, zerstört den Regenwald
Bundesinformationszentrum Landwirtschaft “Soja – Nahrungsmittel für Tier und Mensch
Albert Schweitzer Stiftung “Warum Sojawurst nicht dem Regenwald schadet
WWF “Soja – die Nachfrage steigt” 
Professor Frank Mitloehner, University of California, Davis “Livestock and Climate

Wird ein Lederschuh so hergestellt, dass er biologisch abbaubar ist?

TH: “Ohne Sie jetzt damit angreifen zu wollen, aber ich finde jede Leder Alternative im Schuh eine ökologische Katastrophe. Egal, was auf welchen Webseiten immer darüber erzählt wird. Letztendlich ist immer ein gewisser Anteil Erdöl basiert. Die recycelten PET Flaschen gehen einmal als recyceltes Produkt in Bekleidung, aber danach ist es vorbei. Die Kleidung wird danach nicht mehr recycelt. Dieses Plastik verschwindet nie mehr von diesem Planeten, egal, wo es mal war oder recycelt worden ist. Leder verschwindet. Ich glaube, der richtige Ansatz für die Produkte, die wir benutzen müssen, ist, dass wir sie lange nutzen. Sie müssen sauber produziert werden und wenn sie dann am Ende sind, müssen sie wieder von diesem Planeten verschwinden. Das ist unser Ziel. Ich sehe im Moment noch keine Alternative zu diesem wunderbaren Material Leder.”

PP: “Ich habe noch einen Ledergürtel aus der Zeit, in der ich noch nicht vegan gelebt habe. Den trage ich auch noch. Also der ist bestimmt schon 20 Jahre alt. Den Punkt kann ich ihnen geben. Aber Sie haben ja jetzt auch schon mehrfach gesagt, dass sie Leder für Outdoor Schuhe liefern. Wenn ich einen Outdoor Schuh im Wald vergrabe, was mache ich dann mit Sohle, Ösen, Polyester Schnürsenkeln, Innensohle, Metallteilen, die eventuell noch im Fußbett sind? In der idealen Welt haben Sie natürlich Recht: Wenn ich den Schuh auseinandernehmen könnte, dann könnte ich das biologisch abbaubare Leder vergraben und zum Beispiel noch das biologisch abbaubare Polyester aus dem Schnürsenkel in den Kunststoffkreislauf geben.”

TH: “Das haben Sie richtig erkannt. Ich rede erstmal nur vom Leder. In den nächsten 12 Monaten können wir anbieten, dass das Leder wirklich verschwindet, wenn man es vergräbt. Wir sind mit verschiedenen Schuhherstellern dabei, die Langlebigkeit und Verrottbarkeit von Leder auf andere Schuhkomponenten zu übertragen. Ein riesiges Problem ist die Sohle. Wir gehen mit verschiedenen Herstellern in Richtung Naturlatex, aber alle Dinge sind irgendwie problembehaftet. Es gibt noch keinen tollen Weg. Schnürsenkel könnten in Richtung Hanf gehen, Ösen kann man weglassen. Klebstoffe und Support Materialien sind allerdings weitere Probleme: Der Schuh steht häufig nicht von alleine, da sind Verstärkungsmaterialien aus Lederfaserstoff drin.  

Ich hatte ja gesagt, dass das Träumerei von mir ist. Wir kommen diesem Thema näher, es ist greifbar und von einigen Brands wird dieser Grundgedanke aufgenommen. Als Gerber kann ich die Welt nicht retten und Schuhe machen, aber ich kann erstmal das richtige Material bereitstellen. Da sind wir dran und ich bin sehr froh, weil ich in diesem Thema schon seit 20 Jahren unterwegs bin. Vor 15 Jahren habe ich Präsentationen gegeben, da sind meine Zuhörer aus dem Raum gegangen. Heute sind wir darüber weg und ich stoße auf offene Ohren.

Ich möchte damit nur sagen, es kommt. Sie sagten ja eingangs auch, Sie hätten auch gerne ein bisschen mehr politischen Druck, da bin ich auch nicht ganz gegen abgeneigt, aber die Industrie ist auf dem Weg, die hat’s erkannt.”

PP: “Auf jeden Fall. Vielleicht haben Sie sich auch mit dem Cradle to Cradle Verein und dem Prinzip auseinandergesetzt. Auch da sind natürlich tierische Materialien bei vielen Produkten hoch im Kurs – aufgrund der Möglichkeit, dass sie relativ gut verrottbar gemacht werden können, egal, ob das jetzt Wolle oder Leder ist. Die waren natürlich auch skeptisch, als wir damals sagten, wir hätten gerne einen veganen Schuh, der irgendwie kreislauffähig ist und sich am besten in Luft auflöst. Es gibt da unterschiedliche Möglichkeiten im Cradle to Cradle System. Aber auch da ist viel Bewegung drin. Aber sie sprechen die ganze Zeit von Plastik, das ist meiner Meinung nach “Framing”: Plastik soll mit etwas Negativem assoziiert werden. Plastik klingt immer nach: Pfui! Kunststoffe klingt dann schon besser, Kunstfaser noch besser.

Also ich kann da aus unserer Erfahrung sagen, dass auch im veganen Bereich viel möglich ist. Ich sehe da heute wie damals eine Chance im Vergleich. Sie hatten es ja selbst schon gesagt: Leder ist eine endliche Ressource. Wenn wir irgendwann neun Milliarden Leuten Schuhe an die Füße ziehen wollen, wird das wahrscheinlich mit Leder knapp.”

TH: “Das geht nicht. Wobei wir auch sagen müssten: Egal, wie wir das jetzt als Nicht-Fleischesser sehen – immer mehr Menschen essen Fleisch. Mit dem wachsenden Einkommen kommt Fleischkonsum und Rinderzucht. Es ist leider heute schon so, dass viele tausend Häute jeden Tag gar nicht in den Gerbtrommeln landen, sondern vernichtet werden müssen. Da setzt sich für mich der ökologische Wahnsinn fort: Man vernichtet diesen vorhandenen Rohstoff Haut, muss ihn vergraben oder loswerden – um dann einen synthetischen Stoff zu schaffen, meistens auf Erdölbasis, der nie mehr von diesem Planeten weggeht. Dabei werden immer mehr Menschen Fleisch essen und dieser Berg Häute wächst wahrscheinlich noch mehr an. 

Deswegen dreht sich bei mir alles um, wenn ich Plastikjacken sehe. Diese Jacke könnte aus einem Lammfell sein, was vergraben werden muss. Das ist ist für Veganer schwer zu verstehen, aber ich sage immer: Die Haut ist ja da. Das kann ja nicht der Sinn sein, eine PET Flasche zu recyceln, um dann ein Plastikjäckchen draus zu spinnen, das nie mehr weggeht. Oder?”

PP: “Ja bzw. jein. Ich finde es schön, dass Sie das Beispiel mit der PET-Flasche gebracht haben. Das schlägt genau in die gleiche Kerbe. Es ist natürlich bis zu einem gewissen Punkt eine Schutzbehauptung zu sagen: Na ja, die Haut ist ja da!

Genauso könnte man sagen, jetzt haben wir schon die PET Flaschen, weil die Leute alle zu faul sind, Wasserkästen zu schleppen. Dann recyclen wir doch die PET Flasche. Auch da würde ich bis zu einem gewissen Punkt sagen, dass das als Übergangslösung bestimmt gerechtfertigt ist. So wie es auch eine Übergangslösung mit den Häuten ist, bei allem, was da an Energie, etc. (das hatten wir ja gerade schon) reingeflossen ist. Aber am Ende halte ich das – natürlich als Veganer, der davon ausgeht, dass wir die Welternährung sowieso umstellen müssen, da werden wir nicht dran vorbeikommen – für eine reine Schutzbehauptung: Na ja, wir haben die Häute, dann werfen wir noch viel Wasser und “Chemie” drauf.”

Ist Lederproduktion eine Kreislaufwirtschaft?

AM: “Was mich gewundert hat, Herr Pollinger, war Ihr Argument der Nachhaltigkeit bzw. der Kreislaufwirtschaft: Die Definition der Nachhaltigkeit basiert ja eigentlich auf einem Förster, der gesagt hat: Man nimmt nur so viel aus dem Wald raus, dass man ihn weiterhin erhalten kann. Das betrachte ich als Landwirt immer noch als nachhaltig. Wenn sie jetzt einfach sagen, das sei jetzt vorbei, dann habe ich Sie vielleicht nicht richtig verstanden. Das hoffe ich, denn wir als Menschen greifen immer und überall ein und die einzige Chance ist, dass wir unseren Eingriff soweit reduzieren, dass es die Natur noch aushält.

PP: “Ja, da war ich nicht klar in meiner Aussage. Wenn Sie sich vorstellen, Sie haben wie in Amerika eine weite Ebene. Das ist einfach eine weite Ebene, da grasen ein paar Urrinder, die pupsen und werden dann vielleicht geschlachtet. Dort kann das mit der Kreislaufwirtschaft funktionieren. In dem Moment, wo ich Rodung betreibe, um Weideflächen daraus zu machen, funktioniert das mit der Kreislaufwirtschaft nicht mehr. Zumindest ist das mein letzter Stand, weil eben diese Senken-Wirkung in der Regel vom Urwald sowohl im südamerikanischen Sinne als auch Urwald im europäischen Sinne einfach nicht mehr gegeben ist. Insofern haben Sie recht: In der perfekten Welt mit den weidenden Rindern in der amerikanischen Ebene kann das funktionieren. Sobald ich künstliche Weideflächen erzeuge, wird das rechnerisch eng.”

AM: “Ich glaube, es ist klar, dass wir nicht in einer perfekten Welt leben. Wir haben uns weiterentwickelt und wir greifen eben in die Natur ein. Es ist trotzdem ein gewisser Kreislauf da. Denn gerade hier im Norden haben wir ja Grünflächen, die können Sie eigentlich nur als Weideland nutzen und darauf fußt das natürlich. Wie das dann wieder auszuwerten ist, das macht es schon wieder sehr kompliziert.”

PP: “Also darauf können wir uns einigen, dass das Ausrechnen sehr komplex ist.”

AM: “Für mich ist es zu einfach zu sagen: Der HIGG Index sagt, tierische Haut ist bei 138 und Polyethylen ist bei 5 und deshalb ist Polyethylen toll und tierische Haut schlecht. (Anmerkung der Redaktion: HIGG ist ein Werkzeug für die Bekleidungs- und Schuhindustrie zur Bewertung der Nachhaltigkeit während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts – von den Materialien bis zum Ende der Lebensdauer.)” 

PP: “Wir können uns darauf einigen, dass das nicht nur eine Dimension hat.”

Unser Fazit

Du siehst: Das Thema Leder ist komplex! Es gibt viele Streitpunkte, aber wir haben gemerkt, dass in der deutschen Lederbranche das Thema Nachhaltigkeit angekommen ist und viel in diese Richtung unternommen wird. Global gesehen ist das leider noch nicht der Fall. Außerdem gibt es natürlich auch in der konventionellen Textilbranche viele Aspekte, die noch nicht besser laufen. Wir arbeiten jeden Tag daran, dass sich das ändert. 

Natürlich haben wir uns mit Andreas Meyer und Thomas Heinen über noch viele andere Themen unterhalten. Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews über Leder & Siegel. Im dritten Teil geht es um die globale Lederindustrie und Fast Fashion.

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