“Die Herstellung und Nutzung von Kleidung sollten keine Einbahnstraße sein, sondern ein Kreislauf!”

Interview mit Kevin, Eliina und Sandya von Nudie Jeans

Lesedauer: 7 Minuten.

Wer steckt hinter der Öko Mode bei uns im Sortiment? Wir geben Dir exklusive Einblicke in die Arbeit unserer Marken. Heute möchten wir Dir Kevin, Eliina und Sandya vorstellen, die im Bereich Nachhaltigkeit bei Nudie Jeans arbeiten. Schon seit Beginn unserer gemeinsamen Zusammenarbeit faszinieren uns die Transparenz und die hohen Ansprüche der schwedischen Marke. Kein Wunder also, dass wir auf unsere Interview-Anfrage die detailliertesten Antworten zu Nachhaltigkeit, Löhnen und Kreislaufwirtschaft aus dem Headquarter erhalten haben. Sieh selbst! 

Wie definiert Ihr Nachhaltigkeit? Welche Aspekte gehören dazu?

“Wir verfolgen bei Nudie Jeans einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz für unser Business. Dabei möchten wir den eigentlichen Sinn des Wortes nicht vergessen: Es geht letztendlich um die Möglichkeiten, zu erhalten

Deshalb müssen wir unsere Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette ernst nehmen – und darüber hinaus in der Nutzungsphase unserer Produkte. Produktion und Nutzung müssen wieder stärker miteinander in Verbindung stehen; nicht in einer Richtung, sondern in einem Kreislauf. Alles in diesem Kreislauf muss so nachhaltig wie möglich hergestellt worden sein. 

Für uns beinhaltet das:

  • Faserbeschaffung
  • Stoffherstellung
  • Sozialstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette
  • Existenzsichernde Löhne
  • Energieverbrauch
  • Emissionen
  • Weiterführende Produktverantwortlichkeit, z.B. Reparaturen
  • Transparenz“

Wie lebt Ihr Nachhaltigkeit im Unternehmen?

“Obwohl wir in Sachen Nachhaltigkeit mit unserer Lieferkette den größten Einfluss nehmen können, ist es uns trotzdem wichtig, erstmal vor unserer eigenen Haustür anzufangen. In unseren Büros und Läden arbeiten wir ebenfalls nach strengen Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien. 

Hier bleiben wir auch im Kleinen bei unseren Prioritäten Umwelt, Soziales und Wirtschaftlichkeit: Wir übernehmen Verantwortung für unsere Mülltrennung und -entsorgung, nutzen LED Lampen sowie erneuerbare Energien und wählen für unsere Büros und Läden nachhaltige Lösungen und Services. 

Außerdem legen wir Wert darauf, unsere Teams regelmäßig darüber zu informieren und uns auszutauschen, damit sie auch die alltäglichen Aufgaben bei Nudie Jeans so nachhaltig wie möglich gestalten. Das behalten wir auch im Hinterkopf, wenn wir neue Repair Shops oder Büros eröffnen oder die bereits bestehenden renovieren.“

Zurück zu den Jeans: Wie kontrolliert Ihr die Sozialstandards in den Fabriken?

“Wir sind seit 2009 Mitglied in der Fair Wear Foundation. Bei all unseren Kontrollen der Lieferkette berücksichtigen wir ihre Sozialstandards. Die Auditoren sind entweder von der Fair Wear Foundation selbst oder von einer CSR Beratungsfirma – das hängt vom Ort der Produktionsstätte ab. Wir schätzen am Ansatz der Fair Wear Foundation besonders, dass sie den Fabriken mehr eigene Steuerung ermöglichen. Sie beziehen das Management der Fabriken mit ein und arbeiten mit ihnen gemeinsam auf eine soziale und nachhaltige Entwicklung hin. So entstehen Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung.  

Wir glauben an langfristige Beziehungen zwischen Marken und Lieferanten, bei denen alle Beteiligten gemeinsam an einer nachhaltigen Entwicklung arbeiten: Alle Bemühungen in der Produktion verfolgen das gleiche Ziel. Wir besuchen unsere Lieferanten regelmäßig – nicht nur für Audits oder Weiterbildungen, sondern auch, um direkte Einblicke in ihre Arbeitsprozesse zu erhalten.“ 

Warum genau setzt Ihr auf die Fair Wear Foundation?

“Wir haben uns hauptsächlich aus zwei Gründen für eine Mitgliedschaft entschieden: Uns gefiel, dass die Fair Wear Foundation viel mit Gewerkschaften und anderen Organisationen vor Ort zusammenarbeitet. Außerdem heben sie sich in ihren Standards mit einem Aspekt von anderen ab: Mit dem Recht auf einen existenzsichernden Lohn. Andere Rahmenrichtlinien sprechen bei diesem Thema oftmals nur von einem Recht auf einen Mindestlohn. Dieser deckt in vielen Regionen nicht alle wichtigen Lebenskosten ab.  

Ein weiteres Merkmal der Fair Wear Foundation ist ihr jährlicher Brand Performance Check (dt. Leistungsüberprüfung der Marke), welcher sie so wertvoll sowohl für uns als auch für die Textilarbeiter:innen macht. Dort schauen sie genau, wie wir als Marke agieren und wie gut wir bei ihren Standards dastehen. Später veröffentlichen sie dies auf ihrer Webseite. Dadurch helfen sie uns dabei, unsere Sozialstandards entlang unserer Lieferkette transparent offen zu legen.” 

Wo steht Ihr aktuell bei den existenzsichernden Löhnen?

“Schon im Jahr 2012 haben wir die ersten Schritte in Richtung existenzsichernde Löhne gemacht: Damals starteten wir mit unserem Produzenten in Indien; 2013 zahlte er dann die ersten existenzsichernden Löhne tatsächlich aus. In dieser Pilotphase wurde nur ein Bereich der Fabrik eingebunden, aber seitdem konnten wir die Löhne auf alle fünf Fabrikteile und zusätzlich auf unseren zweitwichtigsten Produzenten in Indien ausweiten. Er stellt unsere T-Shirts her.

Auch mit dem letzten unserer indischen Produzenten haben wir bereits Gespräche über die Einführung von existenzsichernden Löhnen begonnen. Mit ihm arbeiten wir nur gelegentlich zusammen, deshalb hatten die anderen Produzenten Vorrang. 

Was ist mit den anderen Produktionsländern?

Bei unseren indischen Produzenten sehen wir die größte Notwendigkeit und den größten Impact beim Thema Lohn in unserer Lieferkette. Deshalb haben wir dort als erstes existenzsichernde Löhne implementiert.

Auch wenn die Lohnsituation in unseren anderen Produktionsländern nicht so gravierend ist, möchten wir trotzdem mehr über die Löhne dort erfahren. Nur so können wir unsere Maßnahmen richtig einschätzen. Wir haben bereits gute Einblicke in die Löhne entlang unserer Lieferkette. Doch für existenzsichernde Löhne muss man sich auch regionale Kosten und Ausgaben ganz genau anschauen. Dazu müssen nicht nur wir, sondern auch unsere Produzenten ein Interesse daran haben, das Ganze zu evaluieren: Inwieweit kommen die Mindestlöhne und Tarifverhandlungsvereinbarungen schon an existenzsichernde Löhne heran? Dazu haben wir bereits die Diskussionen mit unseren Produzenten in den anderen Produktionsländern gestartet.” 

Mehr zu existenzsichernden Löhnen erfahrt Ihr in dieser Reportage mit den Fashion Changers.

Wie weit seid Ihr bei der Kreislauffähigkeit Eurer Produkte? Wie steht Nudie Jeans zu Kreislaufwirtschaft?

“Oh, wir haben in dem Bereich viele große Ideen! Wir glauben fest daran, dass Kreislaufmodelle die Voraussetzung für wirkliche Nachhaltigkeit sind. 

Heute haben wir bei Nudie Jeans eine gute Basis für Kreislaufprozesse. Für diese Umsetzung haben wir seit der Eröffnung des ersten Repair Shops 2013 sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Genau da wollen wir jetzt weitermachen: Wir möchten weiterhin ein Leben lang kostenlose Reparaturen anbieten und im Rahmen unseres Reuse Programms noch mehr getragene Jeans zurücknehmen und dafür 20% Rabatt auf eine neue Nudie Jeans geben. So können wir die Jeansstoffe für unsere Upcycling- oder Recycling-Projekte nutzen. 

Reparatur gehört zu Nudie Jeans zu einer Kreislaufwirtschaft

Oft hören wir, dass wir in diesem Bereich Pioniere sind. Das wollen wir auch gar nicht abstreiten. Doch das hat auch viel mit unserem Produkt zu tun und damit, dass wir schon sehr früh in unserer Unternehmensgeschichte ein Kreislaufmodell integriert haben. Wir haben unser Business auf ein langlebiges Produkt aufgebaut, zu dem die Kund:innen eine enge Beziehung aufbauen: Die sogenannte „Dry Denim“, eine erstmal komplett ungewaschene Jeans. Dieses Produkt hat alle Eigenschaften, um mit dem Tragen und Waschen über Jahre hinweg für den Konsument:in einzigartig zu werden und die gemeinsame Geschichte zu erzählen. Deshalb nennen wir die Jeans auch oft eine zweite Haut.  

Wir glauben, dass diese Message Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen kann. In der Fast Fashion ist es maßgeblich linear. Durch unsere Jeans bringen wir Konsument:innen dazu, ihre Produkte zu hegen und zu pflegen. So können sie den wahren Wert von Kleidung nachvollziehen und ein Interesse daran gewinnen, ihre Produkte zu reparieren oder zu recyclen – anstatt sie einfach wegzuschmeißen, wenn sie beschädigt sind. 

Foto: Felix Kayser

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Wo seht Ihr die Herausforderungen?

Eine Herausforderung ist für uns, das Repair und Reuse Programm zu digitalisieren und unseren Online-Kund:innen anzubieten. Denn wir möchten auch Menschen erreichen, die leider nicht in der Nähe eines Nudie Jeans Repair Shops wohnen. Außerdem möchten wir irgendwann auch gern all unsere Produkte zurücknehmen können – nicht nur Jeans (mit Ausnahme von Unterwäsche und einigen Accessoires). Unsere Vision ist es, durch die getragenen Kleidungsstücke unserer Konsument:innen eine komplett umgekehrte Lieferkette zu schaffen, in der Stoffe je nach Abfallhierarchie zirkulieren und vorzugsweise unserem eigenen Materialfluss wieder zugute kommen.”

Ihr veröffentlicht regelmäßig eine Klimabilanz. Wodurch entsteht das meiste CO2 bei Euch? Was tut Ihr, um es einzudämmen?

“Das stimmt, wir veröffentlichen unsere kompletten Emissionswerte in unserem jährlichen Nachhaltigkeitsbericht. Jetzt gerade ist der aktuelle erschienen. Um es kurz zu fassen: Die Mehrheit unserer Emissionen entsteht in unserer Lieferkette und dort hauptsächlich in der Stoffherstellung. Seit 2019 erfassen wir unsere Emissionen und haben uns das Klimaziel des Pariser Vertrags gesetzt (1,5 Grad). 

Uns ist es am wichtigsten, das Ziel zu erreichen und unsere Emissionen zu reduzieren – nicht nur auszugleichen. Wenn wir zusätzlich Emissionen ausgleichen, machen wir das nicht – wie viele andere – anhand von Durchschnittsdaten, sondern anhand unserer realen Zahlen. 

Nudie Jeans bietet im Sinne einer Kreislaufwirtschaft kostenlose Jeansreparaturen an

Zwei Beispiele für unsere Maßnahmen: Wir stellen unsere Lieferkette auf erneuerbare Energien um – zusammen mit unseren Produzenten. Das gleiche tun wir natürlich auch in unseren eigenen Einrichtungen, sofern das nicht sowieso schon der Fall ist. Außerdem reduzieren wir die Emissionen unsere Geschäftsreisen und Transporte.” 

Wie wichtig ist Euch, dass die Konsument:innen Eure Produkte zurückverfolgen können? 

“Bei diesem Thema sind wir uns bisher noch nicht so sicher. Wir sind sehr daran interessiert, unsere Kleidung, Materialien und Fasern in einem Kreislauf zu halten. Wir wissen, wo unsere Biobaumwolle herkommt und dass wir sie in unseren Einrichtungen für die erneute Nutzung aufbereiten können (je nach Position in der Abfallhierarchie). Diese recycelte Biobaumwolle als Grundlage halten wir für die bestmögliche Faser. Wir möchten in unseren Kollektionen immer mehr recycelte Fasern nutzen können. Dazu wollen nicht nur unsere eigenen recyclen, sondern auch die fremder Kleidungsstücke. 

Hätten wir die technischen Lösungen für eine Rückverfolgung auf der Ebene der Faser, könnten wir auch mehr Wissen erlangen: Wie langlebig ist die Faser? Wie lang ist die Nutzungsphase und wie kann man sie verlängern? Wie kann man den Lebenszyklus einer Faser besser kalkulieren und welchen Einfluss hat er auf Klima und Umwelt? Das würde messbare Antworten auf die Frage liefern, was eine Reparatur wirklich wert ist

Bisher haben wir noch nicht entschieden, solch eine Technologie zu entwickeln. Das Thema ist auf so vielen Ebenen viel komplexer als es auf den ersten Blick wirkt. Doch wir sehen hier definitiv eine große Chance!”  

Eure Produkte tragen noch nicht seit Beginn den GOTS. Wie habt Ihr zuvor sichergestellt, dass wirklich Biobaumwolle in Euren Jeans steckte? Warum setzt Ihr jetzt auf den GOTS?

“Es ist schon Jahre her, dass wir eine GOTS-zertifizierte Marke werden und GOTS-zertifizierte Produkte haben wollten. Doch leider geht das nicht über Nacht. Damit ein Produkt die Zertifizierung erhält, müssen alle Schritte entlang seiner textilen Kette zertifiziert werden. Deshalb glauben wir auch, dass der GOTS der umfassendste Standard für Textilprodukte auf dem Markt ist. 

Seit Ende 2020 bieten wir einige GOTS-zertifizierte Produkte online an. Um sie auch in unseren Läden anbieten zu können, müssen wir noch mehr tun, aber wir sind dran. 

Damit man die Quelle der Baumwollfasern von GOTS-Betrieben bestätigen kann, müssen sogenannte Transkationszertifikate genutzt werden, die gemeinsam mit den Fasern von Produzent zu Produzent weitergegeben werden. So können wir mit GOTS-zertifizierten Fasern arbeiten, auch wenn das Endprodukt selbst nicht zertifiziert ist. 

Es ist eines unserer höchsten Ziele, eine komplett GOTS-zertifizierte Lieferkette zu haben und auf all unseren Verkaufskanälen GOTS-zertifizierte Produkte anbieten zu können.” 

Wie nachhaltig und umweltfreundlich ist die Färbung Eurer Jeans? Färbt Ihr nach GOTS?

“Genau, uns ist eine komplett GOTS-zertifizierte Lieferkette sehr wichtig. Das beinhaltet auch die Färbeprozesse und das Chemikalienmanagement all unserer Produzenten. 

Wir produzieren und waschen schon viele unserer Denim Styles nach den GOTS Richtlinien für Färbeprozesse. In einigen Fällen werden GOTS-zertifizierte Stoffe in Waschprozesse weitergereicht, die nicht GOTS-zertifiziert sind. So kann das Endprodukt dann nicht GOTS-zertifiziert sein. Wir möchten das verbessern und haben uns zum Ziel gesetzt, unsere ersten komplett GOTS-zertifizierten Denim Styles im Jahr 2022 anzubieten. 

Neben den GOTS Richtlinien müssen all unsere Produzenten unsere Chemikalienrichtlinien unterschreiben. Diese beinhalten die Liste unserer “Restricted Substances” (dt. Schadstoffausschussliste); sie basiert auf den Vorgaben der „Apparel and Footwear International“ Arbeitsgruppe und „Zero Discharge“). Damit entspricht sie nicht nur der Europäischen Chemie Legislation „REACH“, sondern geht noch darüber hinaus. 

Beim Färben sollte man aber auch nicht vergessen: Die Produzenten müssen im Bereich der Färbe- und Waschprozesse vor allem auch vernünftige Wassermanagementsysteme haben. Nur diese können das Wasser wirklich reinigen, bevor es abfließt oder zurück ins System gerät. Außerdem versuchen wir nicht mit Produzenten zu arbeiten, die wasserintensive Prozesse in Regionen durchführen, in denen Wasserknappheit herrscht.”

Natürlich möchten wir Dir nicht nur unsere Marken im Detail vorstellen, sondern Dir auch zu uns selbst als Unternehmen alle Informationen offenlegen. So findest Du Erklärungen zu unseren Finanzen auf unserer Webseite. Wir freuen uns auf Deine Fragen und/oder Kommentare!

Fotos: Nudie Jeans, außer Jeansfinder – Lena Scherer

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