Faire Mode heißt faire Löhne

Lesedauer: 7 Minuten.

Wir sprechen jeden Tag über faire Mode. Für einige bedeutet das, dass Kleidung nicht von Kindern hergestellt wird. Für andere bedeutet es, dass Textilarbeiter:innen nicht knietief in giftigen Färbemitteln stehen. Unserer Meinung nach bedeutet es auch: Die Menschen, die unsere Kleidung herstellen, erhalten faire Löhne. Doch wie bewertet man das? Bevor wir uns das ansehen, möchte ich kurz erklären, warum ich diesen Artikel genau jetzt schreibe. 

Denkst Du seit Corona auch mehr über Geld nach?

Durch Covid-19 haben wir bei LOVECO einige Themen verschoben, weil sie gerade einfach nicht relevant erscheinen. Die fairen Löhne für Arbeiter:innen, die unsere Kleidung herstellen, sind allerdings so brandaktuell wie noch nie. 

Denn obwohl die Pandemie erstmal ein Gesundheitsthema ist, beginnen seit dem Ausbruch viele Menschen über Gehälter, Rücklagen und Finanzen nachzudenken. Sie spüren Existenzängste. 

Es gibt viele, die ihre Arbeit verlieren oder in Kurzarbeit stecken. Selbstständige verlieren ihre Aufträge. Menschen in Krankenhäusern, Supermärkten und anderen Berufen arbeiten über ihre Kräfte hinaus und realisieren gerade jetzt noch mehr, dass sie dafür nicht genug Geld und Anerkennung erhalten. 

Lass uns den Blick nach außen nicht verlieren!

Wir dürfen den Blick über den Tellerrand nicht verlieren. Wir sollten nicht nur für Andere in unserer Gesellschaft ein Verständnis entwickeln, sondern die Pandemie auch global betrachten. In anderen Teilen der Welt sind die finanziellen Sorgen genauso präsent – und ihre Auswirkungen noch gravierender. 

Wie sieht es in der Textilbranche aus?

Die Herstellung von Kleidung ist per se ein globales Thema. In den Textilindustrien Indiens und Bangladeschs sind viele große Aufträge der konventionellen, oftmals westlichen Fast Fashion Riesen weggebrochen. Genau in diesen Produktionsländern gibt es kaum ausreichende Gesundheits- und Sozialsysteme für die Arbeiter:innen. 

In Deutschland sind Programme wie Arbeitslosengeld, Kurzarbeit oder Mindestlohn für uns selbstverständlich. Wir können mit unseren Kolleg:innen, Chefs oder dem Betriebsrat über Gehälter sprechen. Wir können uns organisieren und uns beschweren. In den Ländern, in denen ein Großteil unserer Kleidung hergestellt wird, ist das oftmals nicht der Fall. 

Ich weiß, diese Zeiten sind verwirrend und schwer. In Krisen überwiegt die Angst und wir denken erstmal an uns selbst, an unsere Liebsten. Doch ich finde, wir sollten uns weiterhin darin üben, uns in andere Menschen hineinzuversetzen und empathisch zu sein. 

Vielleicht sind einige unserer Ängste gar nicht so existenziell wie wir denken, wenn wir uns andere Länder ansehen: Wir leben immer noch in einer Demokratie mit rechtlichen Grundlagen und einem sozialen Netz, das uns auffängt. In anderen Teilen der Welt haben viele Menschen solche Auffangnetze nicht. 

Lohn, der Existenzen sichert = fairer Lohn

Du siehst: Besonders in Krisenzeiten ist die angemessene Bezahlung in den Produktionsländern der Textilindustrie ein wichtiges Thema. 

Ein Ansatz für faire Gehälter ist der sogenannte existenzsichernde Lohn (“Living Wages”). Dieser geht über einen Mindestlohn hinaus. Von einem Mindestlohn können Angestellte überleben; von einem existenzsichernden Lohn können sie sich eine medizinische Versorgung leisten, ihre Kinder zur Schule schicken und vieles mehr. Dinge, die für uns absolut selbstverständlich sind!

Existenzsichernder Lohn ist (wie der Mindestlohn) von Land zu Land unterschiedlich, da die Lebensunterhaltungskosten verschieden sind, z.B. Miete, Lebensmittel, Bildung und Medikamente. 

Hier findest Du Angaben dazu, wie weit Mindestlohn und existenzsichernder Lohn in einigen Ländern auseinanderliegen. Besonders spannend sind die aktuellen Zahlen der Kampagne für Saubere Kleidung auch für Ost- und Südosteuropa.  

Wer zahlt in welchen Ländern welchen Lohn?

Die Kleidung bei LOVECO wird in einer Vielzahl von Ländern produziert. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Marken, sondern auch daran, dass unterschiedliche Produktionsschritte eines Kleidungsstücks in verschiedenen Ländern liegen. Die textile Kette ist äußerst komplex!  

Außerdem ist wichtig zu verstehen, dass die Modemarken nicht direkt Lohn an Textilarbeiter:innen zahlen. Die Marken haben Verträge mit Produzent:innen, die in ihren Fabriken Angestellte beschäftigen. Diese Produzent:innen zahlen den Lohn. 

Fabriken produzieren in den meisten Fällen auch nicht für eine Marke allein, sondern für viele unterschiedliche. Auch das verkompliziert die Einführung eines existenzsichernden Lohns in Produktionsstätten: Eine Marke schlägt den Produzent:innen möglicherweise Preise vor, tritt in den Austausch über Lohn und Arbeitsbedingungen und gibt Empfehlungen. Die Produzent:innen organisieren dann allerdings die Arbeit in den Fabriken – und die Zahlung des Lohns.

Und in der Fast Fashion?

Um das in eine Perspektive zu rücken: Die meisten Fast Fashion Marken wissen noch nicht einmal, wo ihre Kleidung hergestellt wird und kennen selten ihre Produzent:innen, da die Aufträge von Subunternehmen verteilt werden. Sie können also überhaupt gar nicht mit den Produzent:innen über Lohn oder Lohnanpassungen sprechen!

Diese Lohnsituation ist komplex, aber sie muss bei weitem kein Nachteil für die Unternehmen sein: Die Organisation Fair Wear Foundation hat Methoden entwickelt, die zeigen, dass Produzent:innen und Marken auch mit der Zahlung von existenzsichernden Lohn wettbewerbsfähig bleiben können.

Wie machen es unsere Marken?

Wir wollen uns anschauen, wie einige unserer Marken zu existenzsicherndem Lohn stehen.

Continental Clothing

  • Seit 2016 zahlt Continental Clothing in ihrer Produktionsstätte in Indien existenzsichernden Lohn.
  • Die Veränderung des Verkaufspreises um nur 14 Cent sorgt für eine langfristige Lohnerhöhung von 50%.
  • Gemeinsam mit NGOs wurde der existenzsichernde Lohn ermittelt; das Programm wird von der Fair Wear Foundation überwacht. 

Der Unterschied zwischen dem tatsächlichen und existenzsichernden Lohn wurde in einen extra Betrag für jedes Produkt umgerechnet, das die Fabrik produziert. Dieser Preis wird auf die Kosten des Textils aufgeschlagen und gesondert ausgewiesen. Mit der Lohnabrechnung geht er jeden Monat direkt an die Arbeiter:innen. 

Nudie Jeans 

  • Nudie Jeans zahlt seit 2018 existenzsichernden Lohn in einem Teil seiner Spinnereien.
  • Seit 2019 wurde das auf die Teile der Produktionsstätte ausgeweitet, die Strick und Weiterverarbeitung übernehmen.
  • Es werden Umfragen unter den Angestellten durchgeführt, z.B. zu den Themen Ernährung und Schulgebühren. Diese bilden die Grundlage für die Berechnung des existenzsichernden Lohns. Sie wird in regelmäßigen Abständen angepasst und bei Einkaufsentscheidungen der indischen Lieferant:innen beachtet. 

In anderen Produktionsstätten wird noch kein existenzsichernder Lohn gezahlt; in 27% werden stattdessen Boni ausgezahlt – bis auch hier existenzsichernder Lohn eingeführt wird. 

Kings of Indigo

  • Kings of Indigo wollte mit der Einführung von existenzsicherndem Lohn in ihrer Produktionsstätte in Tunesien starten. Sie realisierten schnell, dass es besser funktioniert, wenn mehr Kleidung ihrer Marke in der Fabrik produziert wird – im Vergleich zu anderen Marken, die dort produzieren lassen.
  • Deshalb begannen sie mit einer Produktionsstätte in der Türkei. (Hier ist 15% der produzierten Kleidung von Kings of Indigo.)
  • Zwei andere Marken, die ebenfalls dort produzieren lassen, sind auch Mitglieder in der Fair Wear Foundation. Sie haben nun gemeinsam mit Kings of Indigo das Projekt Fair Wear Living Wages Incubator 2.0 gelauncht.
  • NGOs, Produzent:innen, Marken und Arbeiternehmer:innen tauschen sich über das Verhältnis zwischen Preis des Kleidungsstücks und Lohn aus.
  • Für 2019 lag der Mindestlohn in der Türkei bei ca. 300 Euro im Monat. In der Fabrik, in der Kings of Indigo produzieren lässt, wurde ein Monatslohn von ca. 400 Euro gezahlt. Der existenzsichernde Lohn lag bei ca. 890 Euro.

Kings of Indigo hofft, die baldigen Ergebnisse in der Türkei bis 2022 auf Tunesien übertragen zu können. Bis 2024 soll dann in allen Produktionsstätten der Marke existenzsichernder Lohn eingeführt werden.

pinqponq

  • pinqponq berichtet, dass die Erhebung von Daten zur Berechnung des existenzsichernden Lohns in Vietnam immer noch problematisch ist, ebenso die genaue Aufschlüsselung der Produktionskosten.
  • Allerdings betrachtet die Marke im Rahmen ihrer Audits mit der Fair Wear Foundation seit längerer Zeit die Löhne ihrer Lieferant:innen und nutzt dies, um Lieferant:innen zu bewerten und zu entscheiden, was und wie viel sie wo in Auftrag geben. (Andere Aspekte sind die transparente Kommunikation oder die Pünktlichkeit der Lieferungen.)
  • Auch wenn noch kein existenzsichernder Lohn gezahlt wird, liegt der Lohn in allen Produktionsstätten deutlich über dem lokalen Mindestlohn und auch hier werden Boni gezahlt.   
  • Ganz konkret bedeutet das: In einer ihrer Produktionsstätten in Vietnam werden 133-152% des Mindestlohns gezahlt. Der existenzsichernde Lohn wären 170%. 

pinqponq bestätigt, dass es für die Lieferant:innen ein wichtiges Signal ist, wenn Marken sich für höhere Löhne einsetzen und dafür auch höhere Preise in Kauf nehmen. So sind einige Lieferant:innen bereits auf die Lohnforderungen von pinqponq eingegangen. 

ARMEDANGELS

  • ARMEDANGELS legt offen, in welchem Verhältnis der Lohn, der in ihren Produktionsstätten gezahlt wird, zum Mindestlohn im Land steht.
  • In der Türkei z.B. beträgt der Lohn 130% vom Mindestlohn, in Tunesien 152%.

Mehr zu unseren Marken und ihren Produktionsstätten kannst Du übrigens in diesem Artikel zu unseren Fair Fashion Labels nachlesen. 

Gibt es kein Siegel für fairen Lohn?

Es gibt bereits ein Textilsiegel, das existenzsichernden Lohn in seine Standards miteinbezieht: “Fairtrade für Textilien”. Dieses Siegel tragen nur Marken, die innerhalb von fünf Jahren an alle Arbeiter:innen in ihrer textilen Kette existenzsichernden Lohn zahlen können. 

Wie kompliziert es ist, das in allen Fabriken durchzusetzen und zu überwachen, zeigt die Tatsache, dass bisher keine Marke mit diesem Siegel zertifiziert ist. (Nicht zu verwechseln mit “Fairtrade für Baumwolle”, das sich nur auf den Rohstoff Baumwolle bezieht und nicht auf die Weiterverarbeitung zum Produkt.)

Du siehst, existenzsichernder Lohn ist für viele Marken ein komplexes Thema und einige stehen auch erst am Anfang. Aber unsere Labels machen sich auf den Weg. Viele von ihnen kämpfen derzeit wie wir um ihre Existenz. Mit Deiner Unterstützung sorgst Du dafür, dass sie mehr Menschen, die in der Modebranche arbeiten, jetzt oder in Zukunft einen existenzsichernden Lohn garantieren können. Wir arbeiten auf alle Fälle weiter daran, dass sich der existenzsichernde Lohn durchsetzen wird!

Mehr zum Thema findest Du auch auf Instagram: Wir haben mit den Fashion Changers eine Reportage zu Lohngerechtigkeit produziert.

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