“Es geht nicht um ein Shirt, sondern um einen nachhaltigen Einsatz für mehr Toleranz und Offenheit!”

Interview mit Fabian Wichmann von Exit Deutschland

Lesedauer: 9 Minuten.

Ganz neu bei uns findest Du unter dem Namen #nohate die exklusive Sonderkollektion von recolution. Sie entstand in Zusammenarbeit mit Fritz-kola, dem FC St. Pauli und Exit Deutschland. Die Idee: Durch Mode ein Statement für mehr Toleranz und eine offene Gesellschaft setzen. Wir waren natürlich sofort dabei! Warum? Mit unserer nachhaltigen Mode zeigen wir jeden Tag, in was für einer Welt wir leben möchten. Ganz klar gehört für uns auch Fairness und soziales Engagement dazu. 

Es wird noch besser: Alle Gewinne der verkauften Kleidungsstücke gehen direkt an die Organisation Exit Deutschland. Sie klärt über Rechtsextremismus auf und begleitet Aussteiger:innen aus der Szene. Damit Du genau weißt, was für eine Arbeit Du mit Deinem Kauf unterstützt, haben wir mit Fabian gesprochen, der seit vielen Jahren bei Exit tätig ist und wertvolle Arbeit leistet. 

Hallo Fabian! Was genau steckt hinter Exit? Und was machst Du dort?

Fabian Wichmann von Exit Deutschland

Fabian: “Exit ist eine Initiative, die im Jahr 2000 vom ehemaligen Polizisten Bernd Wagner und dem ehemaligen Neonazi Ingo Hasselbach begründet wurde. Beide kommen aus dem Raum Berlin und kannten sich bereits vor der Gründung in ihren alten Rollen. Ingo ist in der Mitte der 90er Jahre aus der Szene ausgestiegen. Er hat schon da erfahren, was ein Ausstieg bedeutet und welche Schwierigkeiten auf den Ebenen von Reflexion und Sicherheit entstehen, z.B. durch Morddrohungen und versuchte Anschläge.

Die Idee hinter Exit war von Anfang an, Menschen zu unterstützen, die Zweifel haben und aus der rechtsextremen Szene aussteigen wollen. Wir möchten ihre Zweifel bestärken und dann den Ausstieg begleiten. So versuchen wir auch zu verhindern, dass es zu Übergriffen kommt. Wir möchten Leute aus der rechtsextremen Szene herausholen, damit die Szene schwächen und letztendlich Opfer verhindern.

Seit der Gründung reflektiert Exit beim Ausstieg die Ideologie und die Sicherheit: Wie kann man Situationen strukturieren, analysieren und damit einen Ausstieg möglich machen? Wie kann man einen Ausstieg sicher umsetzen? Eine andere nachgelagerte Aufgabe bei Exit ist dann die Aufklärungsarbeit über Rechtsextremismus und die gesellschaftliche Vermittlung des Themas.

Ich arbeite bei Exit zum einen in der Fallarbeit, das heißt, ich begleite Aussteiger:innen und zum anderen bin ich in der Öffentlichkeitsarbeit und bei Kampagnen tätig.” 

Warum ist Eure Arbeit Deiner Meinung nach so wichtig?

Fabian: “Ich glaube, dass unsere Arbeit ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ist. Wir möchten Menschen dabei helfen, Fehler im rechtsextremistischen Denken zu erkennen. Wenn sie anfangen zu zweifeln, können wir ihren Ausstieg begleiten. Das ist wichtig für eine Demokratie, weil sie sonst ein Zerrbild ihrer Selbst ist. 

Wenn wir die Leute, die zweifeln, nicht unterstützen, sind wir ein ähnlich dogmatisches Gesellschaftssystem wie das, welches wir eigentlich bekämpfen.

Außerdem denke ich, dass es notwendig ist, über Rechtsextremismus aufzuklären. Es ist wichtig, die allgemeine Gesellschaft darüber zu informieren, wie die rechtsextreme Szene agiert und funktioniert. Es gibt immer ein Eigenbild und eine Außendarstellung, die sich unterscheiden. Dabei ist unsere Arbeit ein Teilelement und nur eine Strategie in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus.” 

Wie kann man Euch unterstützen? 

Fabian: “Es gibt natürlich immer die Möglichkeit, unsere Arbeit durch Spenden zu unterstützen, wie zum Beispiel durch den Kauf der #nohate Kleidungsstücke von recolution. Ehrenamt ist bei uns etwas schwierig, weil unsere Arbeit oft sehr speziell und sensibel ist, insbesondere die Begleitung von Aussteiger:innen. 

Wir erarbeiten auch Kampagnen, wie z.B. Rechts gegen Rechts. Sie sind als Signal in die Szene sehr wichtig. Man kann sie auch je nach seinen Möglichkeiten in einem anderen Umfeld neu umsetzen, z.B. bei rechtsextremen Aufmärschen in seiner Gemeinde und so einen Beitrag leisten. Da hilft man uns zwar nur indirekt, aber man setzt ein klares, gesellschaftliches Zeichen. Wir möchten kreative Protestformen, die wir initiiert haben, auch in die Gesellschaft integrieren und sichtbar machen.” 

Wie kam die Aktion mit recolution, Fritz-kola und dem FC St. Pauli zustande?

Fabian: “Los ging es schon vor zwei Jahren. Exit wird zum einen über Spenden und zum anderen über Bundesmittel finanziert. Die Bundesmittel enden in der Regel nach 3-5 Jahren. Damals befanden wir uns wieder in so einer Phase, in der die Finanzierung von Exit unklar war. In dieser Situation hat sich Fritz-kola an uns gewandt. Sie waren motiviert, uns zu unterstützen, um diese finanzielle Krisensituation zu überwinden. Seitdem haben wir mit Fritz-kola und dem FC St. Pauli sehr konstante Partner gewonnen. Sie unterstützen uns verschiedentlich und stellen Öffentlichkeit her. Je nach ihren Möglichkeiten versuchen sie, unser Projekt und die Problematik in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen – und das seit langer Zeit sehr engagiert. Wir freuen uns, dass jetzt auch recolution dabei ist und wir gemeinsam eine großartige Kampagne mit einer klaren Statement-Kollektion umsetzen konnten.” 

Das muss für Eure Arbeit ja sehr schwer sein, wenn Ihr immer wieder vor so finanziellen Unsicherheiten steht, oder?

Fabian: “Ja, 2022 wird das wieder der Fall sein. Da endet unsere derzeitige Finanzierung und wir wissen nicht, wie es dann weitergeht. Wir befinden uns schon seit 20 Jahren regelmäßig immer wieder in solch einer unklaren Situation. Aber nicht nur wir, das betrifft alle Projekte in diesem Bereich.” 

Wie ist nach Fritz-kola dann der FC St. Pauli zu einer Zusammenarbeit mit Euch gekommen?

Fabian: “Der FC St. Pauli hat eine klare Haltung zum Rechtsextremismus – und die machen sie in den letzten Jahren auch konsequent deutlich. Es ist schön, dass der FC St. Pauli mit seinen Möglichkeiten im Kontext Fußball ein anderes Bild und andere Werte an die Fankultur vermitteln möchte. Es freut uns, dass unsere Arbeit hier Unterstützung findet und wir die Möglichkeit haben, auf uns aufmerksam zu machen. Am allerbesten: Hier entsteht ja vor allem nicht nur Aufmerksamkeit, sondern handfeste Unterstützung.”

Was ist Deine persönliche Motivation, bei Euch mitzuwirken?

Fabian: “Ich bin ein klassischer nach der Wende sozialisierter Jugendlicher gewesen, der im Berliner Stadtrand aufgewachsen ist. Durch den Fall der Mauer und die Folgejahre bin ich relativ schnell mit Neonazis und Rechtsextremismus auf der Straße konfrontiert worden. Ich bin auch persönlich bedroht worden, aber auch davon abgesehen war Rechtsextremismus einfach sehr sichtbar im Straßenbild. Zu dem Zeitpunkt habe ich nie verstanden, woher das kam und warum es so war. 

So habe ich mich bereits als Jugendlicher für dieses Thema interessiert und mich begonnen mit den Hintergründen von Anschlägen und Pogromen zu beschäftigen. Später habe ich mir dann auch Subkulturen im Allgemeinen angeschaut, vor allem Hardcore sowie die Brüche in der Punk- und Oi-Szene. Während meines Studiums habe ich die Biografie von Ingo Hasselbach gelesen, die ich spannend fand. Daraufhin wollte ich ein Praktikum machen und bewarb mich bei Exit. Hier bin ich kleben geblieben. 

In der Wissenschaft wird oft vermittelt, dass Musik eine Einstiegsmöglichkeit in den Rechtsextremismus ist: Jugendliche fühlen sich von Musik angezogen und steigen dann in die Szene ein. Bei mir war es anders: Ich habe mich auch für Musik interessiert, aber mich dann mit ihr auseinandergesetzt und darüber dann auch mit Rechtsextremismus. Musik war hier nicht wie bei Neonazis ein Einstieg in die Szene, aber ein relevanter Triggerpunkt, um mich mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen.” 

Ihr betreibt sowohl Aufklärung über Rechtsextremismus als auch Ausstiegshilfe. Warum macht Ihr Beides?

Fabian: “Das stammt aus der Erkenntnis, dass Rechtsextremismus ja nicht nur eine Frage des Verhaltens, sondern auch der Einstellung ist. Deshalb ist uns auch die Aufklärung wichtig. Dafür haben wir verschiedene Formate: Kampagnen, Podcasts, Aussteigerbiografien, Workshops oder Videos. 

Unsere direkte Interaktion mit Interessierten und Schüler:innen soll aufklären, vermitteln und präventiv wirken. Das Wissen über bestimmte Zusammenhänge und Gefahren kann Jugendliche und andere davon abhalten, sich in bestimmte Kreise zu bewegen und menschenfeindliche Ideen populär zu machen. Uns ist diese Mischung sehr wichtig: Die direkte Arbeit mit Menschen, die sich an uns wenden und aussteigen wollen, sowie Aufklärung, welche Rechtsextremismus und Radikalisierung von Menschen im Vorfeld verhindern kann. Diese Prävention ist manchmal ein sehr hohes Ziel, aber ein wichtiger Teil unserer Arbeit.”

Wie reagieren z.B. Schüler:innen, wenn Ihr mit ihnen in Workshops sprecht?

Fabian: “Das ist immer unterschiedlich, je nachdem mit welchen Schulformen oder Schulgruppen wir es zu tun haben. In der Regel stößt unsere Arbeit erstmal auf Interesse und wir sehen, dass es da eine Auseinandersetzung gibt. Für Jugendliche ist oftmals unsere direkte Praxis interessant. Aussteiger:innen und Mitarbeiter:innen können durch reale Erfahrungen die rechtsextremen Szene und ihre Mechanismen erklären. Das ist auf der einen Seite einfach interessanter als wenn ein/e Lehrer:in etwas vorträgt. 

Auf der anderen Seite befinden wir uns jetzt aber auch in der Situation, dass man mit vielen Zeitzeugen aus dem Nationalsozialismus, den Opfern des Nationalsozialismus und der Shoa, nicht mehr sprechen kann, weil diese versterben. Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen mit Rechtsextremismus kritisch aufgearbeitet vermitteln, können ähnlich wie Zeitzeugen einen anderen Zugang zu dem abstrakten Thema schaffen. Das ist authentischer als der/die Lehrer:in das könnte. Natürlich muss man unsere Arbeit hier immer thematisch einbetten und entsprechend vor- und nachbereiten. Man kann sie nicht einfach nur als “Unterhaltungsprogramm” laufen lassen.” 

Wie würdest Du die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland einschätzen? 

Fabian: “Darauf gibt es keine einfache Antwort. Einerseits haben wir gerade eine sehr plurale und sich öffnende Gesellschaft. Heute gibt es Möglichkeiten, sich als Gruppe zu äußern und für seine Rechte Gehör zu verschaffen, die so vor 20 Jahren in der Gesellschaft noch nicht bestanden. 

Andererseits stößt gerade das bei einigen auf eine Art Abwehrhaltung; es entsteht eine Art Kulturkampf. So wird eine offene Gesellschaft von Anderen ganz offensichtlich abgelehnt. Diese Polarisierung hat sich durch die letzten Jahre gezogen und verstärkt sich. Sie wird mit unterschiedlichen Themen angereichert und gefüttert, aktuell sogar z.B. mit Corona. Das sind Entwicklungen, die ich bedrohlich finde. 

Die Themen, die dort gesucht und genutzt werden, regenerieren sich immer wieder. Es sind ständig andere Themen, aber sie wiederholen sich. Entsprechende rechtsextreme Gruppen versuchen sich natürlich diese Themen zunutze zu machen. Sie wollen so Polarisierung vorantreiben, weil sie von dieser Polarisierung am Ende profitieren – in der Hoffnung auf Revolution, Umsturz oder neue Gesellschaftsformen, welche sie erzeugen wollen. Diese Entwicklungen sind sichtbar und werfen für eine Gesellschaft fundamentale Fragen auf. Wenn wir keine passenden Antworten darauf haben, können sie gefährlich werden.”  

Wie passt Mode zu Eurem Engagement? 

Fabian: “Mode an sich ist auch im Rechtsextremismus ein relevantes Thema. Es gibt da eigene Modemarken und eine Industrie, die dahinter steht. 

Auch kurzlebige Kampagnen haben grundsätzlich ihre Berechtigung. Doch ich finde es nachhaltiger, zu fragen: Wie können unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche wie Wirtschaft, Sport oder Politik nachhaltig dazu beitragen, Rechtsextremismus zu verhindern? Wie können sie Strukturen unterstützen, die Rechtsextremismus verhindern? Dafür sind die langjährige Kooperation mit Fritz-kola oder die jetzige Umsetzung mit recolution spannende Beispiele. 

Eine Demokratie lebt nicht davon, dass man einmal irgendwo hingeht, jemand etwas erklärt und man davon überzeugt wird. Demokratie ist die Auseinandersetzung am Einzelnen und in der Gesellschaft, immer und immer wieder. Davon lebt Demokratie.

Deshalb ist es wichtig, dass alle sich als Teil des Ganzen begreifen und nach ihren Möglichkeiten schauen. Das finde ich interessant an dieser konkreten Zusammenarbeit. Wie können wir Themen zusammenbringen? Wer kann sich einbringen? Wie können alle ihre Ressourcen nutzen und so zum Gesamtbild beitragen?

Das bedeutet dann eben nicht nur, ein Themen T-Shirt rauszubringen. Es bedeutet, einen Beitrag zu leisten, um die Sache langfristig zu unterstützen. Schließlich ist es nicht die Aufgabe einzelner Akteure, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft in ihren Grundfesten.” 

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