Vegane Seide: Das Material Lyocell und seine Geheimnisse

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Natürlich, atmungsaktiv, geschmeidig, glänzend. Neben Biobaumwolle zählt Lyocell zu einem der wichtigsten Materialien im Bereich der nachhaltigen Kleidung. 

In unserem Ratgeber haben wir Dir bereits die Besonderheiten von Tencel Kleidung vorgestellt. Nun schauen wir hinter die Kulissen. Was ist der Unterschied zwischen Lyocell und Tencel™? Wie wird es genau produziert? Ist es wirklich so nachhaltig, wie alle behaupten?

Lyocell vs. Tencel? Wo liegt der Unterschied?

Tencel sieht seidig aus, aber ist es auch nachhaltig?

Es gibt keinen! Tencel™ ist lediglich der geschützte Name der Firma Lenzing. Mittlerweile fasst Lenzing unter dem Begriff Tencel™ die Marken Tencel™ Lyocell, Tencel™ Modal, und Tencel™ Lyocell Filament zusammen. Dies alles sind Regeneratfasern ähnlichen Ursprungs (was das genau ist, verrate ich Dir gleich). Vor allem haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie sind unfassbar geschmeidig und fühlen sich toll auf unserer Haut an – wie Seide, die eben keine ist.

Der Ursprung: Wie aus Holz Kleidung wird

Im Unterschied zu Baumwolle, deren Faser aus den Samenhaaren der Baumwollpflanze gewonnen wird, wächst Lyocell nicht als Faser in der Natur. Lyocell gehört zu den chemischen Fasern (Regeneratfasern), dessen Ursprung Cellulose aus Eukalyptus, Buche oder Pinienholz darstellt.

Wie wird jetzt z.B. aus Eukalyptus Lyocellstoff hergestellt? Hier eine vereinfachte Darstellung:

Die Herstellung von Tencel: Wie nachhaltig ist sie?
  1. Der Grundstoff, in unserem Fall Eukalyptus, wird kleingehackt und in ein Wasserbad gegeben. 
  2. Dem Wasserbad wird das Lösungsmittel N-Methylmorpholin-N-oxid (NMMN) zugeführt. Es hilft dabei, die Cellulose herauszulösen, die in den Zellwänden des Eukalyptus steckt. 
  3. Die Flüssigkeit wird erhitzt, Wasser wird entzogen und eine Spinnlösung entsteht.  
  4. Die Spinnlösung wird gefiltert und durch eine Spinndrüse gedrückt (ähnlich einer Spätzlepresse). Ein Faden entsteht.
  5. Für eine höhere Festigkeit wird der Faden in ein Chemiebad geleitet. Tadaaaa, fertig ist der Lyocellfaden! 

Die Cellulose erhält also nur eine andere Form; die Eigenschaften bleiben bestehen. Sie wurde regeneriert. Das Tolle daran: Die verwendeten Chemikalien können Herstellern zufolge zu über 99% wiedergewonnen und im Kreislaufprozess wiederverwendet werden. Sie sind außerdem biologisch abbaubar: Du kannst ein Shirt aus 100% Lyocell ohne Bedenken auf dem Kompost entsorgen! Zu guter Letzt gelten sie als humantoxikologisch unbedenklich: Mensch und Natur werden nicht gefährdet.

Mehr zum Thema Kreislaufwirtschaft kannst Du in unserem Magazinartikel nachlesen.

Achtung: Die Herkunft entscheidet!

Das hört sich alles toll an: Nachwachsender Rohstoff, ungiftige und recyclebare Chemikalien und kompostierbar! Was wollen wir mehr? Leider gibt es, wie so oft, ein Aber!

Wie zuvor erläutert, wird Lyocell aus den Grundstoffen Eukalyptus, Buche oder Pinienholz hergestellt. Wie nachhaltig das Material ist, hängt davon ab, was genau verwendet wurde und woher der Rohstoff genau stammt.

Bleiben wir bei unserem Beispiel Eukalyptus. Eigentlich könnte man meinen, der schöne Eukalyptusbaum sei die eierlegende Wollmilchsau unter den Pflanzen: Ein resistentes Gewächs, das ohne Bedenken auf landwirtschaftlich unnutzbaren Flächen angebaut werden kann, schnell wächst und dabei auch noch einen angenehmen Geruch verbreitet. Es wird keine künstliche Bewässerung oder Dünger benötigt; sogar Herbizide und Pestizide kommen kaum zum Einsatz. Warum äußern sich dennoch viele Expert:innen wie z.B. Norbert Henzel von der Uni Oldenburg kritisch? 

Folgen für die Umwelt

Tencel aus Eukalyptus: Ein nachhaltiger Baum?

Das liegt unter anderem daran, dass die durstige Pflanze durch ihre lange Pfahlwurzel selbst in tiefste Bodenschichten gelangt und anderen Pflanzen regelrecht das Wasser unter den Füßen bzw. Wurzeln wegsaugt. Nicht nur, dass so flachwurzelnde, kleinere Pflanzen kaum an Wasser gelangen: Das Eukalyptusöl hat neben der Eigenschaft leicht entflammbar zu sein (Achtung, erhöhte Waldbrandgefahr!) auch noch den Effekt, umliegende Pflanzen und Insekten abzuschrecken. Eine eigentlich geniale Überlebensstrategie des ursprünglich in Australien heimischen Baums, der sich genau deshalb weltweit stark ausbreiten konnte. Heute nimmt er allerdings starken Einfluss auf die Artenvielfalt der umliegenden Flächen und potenziert sich logischerweise mit dem Anbau von Monokulturen.

Soziale Auswirkungen

Der Anbau der Eukalyptuspflanze erfolgt neben Asien, Südamerika und -afrika auch in Portugal und Spanien. Häufig in ärmeren Regionen, wo die Menschen zuvor auf den Flächen noch ihr Vieh weiden ließen und nun in Abhängigkeit der Plantagenbesitzer leben. Durch starke Mechanisierung in der Bewirtschaftung der Plantagen und dem geringen Pflegebedarf der Pflanze entstehen allerdings kaum neue Arbeitsplätze

Kann ich jetzt überhaupt noch Kleidung aus Lyocell kaufen?

Ja, das kannst du. Auch der Tencel™ Hersteller Lenzing, welcher den Großteil der nachhaltigen Labels mit den Stoffen beliefert, weiß um die Problematik und sichert sich daher nur Rohstoffe aus nachhaltig bewirtschafteten Holzplantagen. Das Holz und auch der bereits fertig eingekaufte Zellstoff muss FSC® (C041246) oder PEFC™ zertifiziert oder kontrolliert sein. Ebenso werden dadurch faire Arbeitsbedingungen in Form der IAO-Kernarbeitsnormen sichergestellt.

Auch die Fast Fashion Industrie verwendet in ihren Kollektionen Lyocell, allerdings oftmals ohne auf die Herkunft des Rohstoffes zu schauen. Deshalb ist nicht jedes Produkt aus Lyocell automatisch nachhaltig! Achte deswegen beim Einkauf immer auf Marken, die Nachhaltigkeit auch wirklich umsetzen, auf die Herkunft ihrer Rohstoffe wertlegen und nicht nur Greenwashing betreiben. Wir haben in einem anderen Magazinartikel für Dich zusammengefasst, welchen nachhaltigen Mode Marken Du vertrauen kannst.

Das Wichtigste zu Lyocell zusammengefasst

  • Lyocell und Tencel™ beschreiben das gleiche Material.
  • Die verwendeten Chemikalien können durch einen zirkulären Herstellungsprozess zu über 99% wiedergewonnen werden.
  • Lyocell gefährdet weder Mensch noch Natur und ist vollständig kompostierbar.
  • Die Nachhaltigkeit wird allerdings maßgeblich durch die Herkunft des Rohmaterials bestimmt.
  • Deshalb ist es wichtig, Lyocell Produkte nur von Labels zu kaufen, die wirklich nachhaltig sind.

Auch bei diesem Thema wird klar: Die Herstellung von nachhaltiger Kleidung ist komplex. Genau deshalb sind wir stets mit unseren Marken und Expert:innen im Austausch, um an besseren Lösungen für eine gesamte Modeindustrie zu arbeiten.

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