Das Lieferkettengesetz: Bahnbrechend oder verwässert? Interview mit Anosha Wahidi

Lesedauer: 8 Minuten

Das sogenannte Lieferkettengesetz ist zur Zeit in aller Munde: Aber was genau versteckt sich dahinter?

Es soll Unternehmen dazu bringen, Verantwortung für die Arbeitsbedingungen und Umweltschäden entlang ihrer globalen Lieferketten zu übernehmen. Gerade im Bereich der Textilindustrie ein wichtiges Thema! Ein solches Gesetz könnte faire Mode und Bio Kleidung einen großen Schritt voranbringen.

Natürlich gibt es rund ums Gesetz verschiedene Beteiligte, die unterschiedliche Interessen einbringen: Wirtschaftsverbände, die Unternehmen vertreten, Organisationen, die globale Sozial- und Umweltprobleme lösen möchten und Politiker:innen, die ihre Partei vertreten. 

Gerade verabschiedete die Bundesregierung einen Entwurf des Lieferkettengesetzes, der jetzt im Bundestag diskutiert wird.  

Kurz & knapp: Der Entwurf des Lieferkettengesetzes

  • Das Gesetz schreibt deutschen Unternehmen offiziell Sorgfaltspflichten für ihre Lieferketten zu. 
  • Diese Pflichten sind je nach Einflussvermögens des Unternehmens abgestuft.
  • Bei Verstößen drohen den Unternehmen Bußgelder und ein Ausschluss von öffentlichen Beschaffungen. Die Bußgelder liegen zwischen 100.000 und 800.000 Euro oder werden prozentual am Umsatz gemessen.
  • Zur Einhaltung der Pflichten prüft das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Unternehmensberichte und eingereichte Beschwerden. 
  • Arbeitnehmer:innen, deren Menschenrechte verletzt wurden, können auch vor deutschem Gericht klagen. Grundlage ist dann aber ihr nationales Arbeitsrecht, nicht das deutsche.
  • Ab 2023 soll das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter:innen gelten. Ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen.

Zum aktuellen Entwurf des Lieferkettengesetzes haben wir Anosha Wahidi befragt. Sie ist Referatsleiterin für Nachhaltige Lieferketten und Standards im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Zum Entwurf des Lieferkettengesetz. Anosha Wahidi, Referatsleiterin für Nachhaltige Lieferketten und Standards im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Foto: Textilbündnis)
Foto: Textilbündnis

1. Wie beurteilst Du das Einwirken von Unternehmen und Produktionsländern in der Entstehung des Lieferkettengesetzes?

Anosha Wahidi: “Wir brauchen einen Dialog und den Austausch von Argumenten mit allen Beteiligten! Dazu gehört auch, dass es hier und da kritische Stimmen gibt. Das Gesetz ist nicht gegen die Wirtschaft gerichtet. Es ist ein Gesetz, mit dem wir in Deutschland erstmals klar definieren, was wir von den Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte in ihrer Lieferkette verbindlich erwarten. Viele Unternehmen fordern ein solches Gesetz seit Jahren. Sie versprechen sich davon mehr Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen – ein sogenanntes ‘level playing field’. 

Richtig ist aber auch, dass andere Unternehmen und gerade auch einige Wirtschaftsverbände ein sehr düsteres Bild gezeichnet haben. Ich bin überzeugt, dass die Ängste unberechtigt sind. Im Gegenteil: Schon heute gibt es z.B. Banken, die Unternehmen, die ihren Sorgfaltspflichten nachkommen, vergünstigte Kredite anbieten. Diese Banken sehen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten als Teil einer Risikominimierung. Das zeigt: Die Einhaltung von Sorgfaltspflichten bringt den Unternehmen auch wirtschaftliche Vorteile

Langfristig gilt das umso mehr: Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten kann Unternehmen helfen, die Anfälligkeit ihrer Lieferketten gegen Krisen und externe Schocks zu reduzieren. Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie wichtig intakte Lieferketten sind.”

2. Deutschland ist nicht das einzige Land in der EU, in dem eine Debatte um die Sorgfaltspflichten von Unternehmen entbrannt ist. Es gibt ähnliche Gesetze in anderen europäischen Ländern; auch die EU formt momentan Beschlüsse. Was hältst Du von den Gesetzen in Frankreich und Großbritannien? Wie beurteilst Du die Vorschläge der EU? Können sie Einfluss auf das deutsche Gesetz nehmen?

Anosha Wahidi: “Es war wichtig für die politische Debatte, dass Staaten wie Frankreich und Großbritannien vorangegangen sind. Denn die Beispiele zeigen, dass gesetzliche Regelungen zum Schutz der Menschenrechte notwendig und umsetzbar sind. 

Mit dem deutschen Gesetz gehen wir aber weiter: Wir erfassen mehr Schutzrechte, alle Wirtschaftssektoren und sehen eine wesentlich stärkere behördliche Durchsetzung vor. Das heißt, die Behörden können bei Verletzung der Sorgfaltspflichten scharfe Sanktionen verhängen, von Buß- und Zwangsgeldern bis hin zum Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung. Tatsächlich gibt es weltweit kein Sorgfaltspflichtengesetz, dass ähnlich anspruchsvoll ist, wie das deutsche. Vom deutschen Gesetz soll damit auch Rückenwind für den Gesetzgebungsprozess in der EU ausgehen.”

Auch in der EU wird über einen Lieferkettengesetz Entwurf beraten

3. Es gibt Berechnungen der EU, dass die entstehenden Kosten für die Umsetzung des Gesetzes bei Unternehmen nur sehr marginal ausfallen und finanziell keine Überforderung darstellen. Wie bewertest Du die Kritik von Wirtschaftsverbänden am Gesetz?

Anosha Wahidi: “In der Corona-Pandemie stehen viele Unternehmen mit dem Rücken zur Wand. Gerade die Textilwirtschaft ist schwer getroffen. Das haben wir natürlich auch beim Gesetz im Blick. Deswegen gehen wir beim Anwendungsbereich einen abgestuften Weg und fangen ab 2023 mit Großunternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden an. Ab 2024 decken wir dann Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden ab. Damit sind kleine und mittelständische Unternehmen zunächst vom Anwendungsbereich ausgenommen. 

Ab Mitte 2024 wird es dann eine Evaluierung des Anwendungsbereichs geben. Dann werden wir auch entscheiden, ob weitere Unternehmen unter das Gesetz fallen sollen. Bis dahin haben alle Unternehmen Zeit, sich auf die Anforderungen vorzubereiten. Zugleich wird die Bundesregierung ihre Unterstützungs- und Beratungsmaßnahmen deutlich ausbauen. Das Gesetz verlangt zudem von Unternehmen nichts Unmögliches. Was außerdem nicht vergessen werden darf: Bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten gibt es keine Erfolgs-, sondern immer eine Bemühenspflicht!

Bei mancher Kritik stelle ich mir aber auch die Frage: Was darf die Einhaltung von elementaren Menschenrechten denn nun kosten? Wir sprechen hier von Kinder- und Zwangsarbeit. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Unternehmen ihren Beitrag leisten, um hiergegen vorzugehen.

Zudem fangen viele Unternehmen nicht bei null an: Viele kennen ihre Lieferketten bereits gut und haben Risikomanagementsysteme.“

Wenn ein Unternehmen das Risiko einer Heuschreckenplage auf den Kakaoplantagen seines Zulieferers berechnen kann, dann kann es auch überprüfen, ob auf den Plantagen Kinder arbeiten müssen.

Anosha Wahidi

4. Wie beurteilst du die Tatsache, dass im jetzigen Entwurf nicht alle Schritte der Lieferkette, alle Unternehmensgrößen und die zivilrechtliche Nachverfolgung berücksichtigt werden?

Anosha Wahidi: “Eine Sache muss ich von vornherein richtig stellen: Der Gesetzesentwurf betrachtet die gesamte Lieferkette – vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Außerdem haben wir Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen mitumfasst. Wir tragen aber auch der Tatsache Rechnung, dass die Einflussmöglichkeiten von Unternehmen entlang der Lieferkette unterschiedlich sind. Deswegen haben wir uns für ein abgestuftes Verantwortungsmodell entschieden: Im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten vollumfänglich umsetzen. Bei mittelbaren Zulieferern gelten die Sorgfaltspflichten anlassbezogen. Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, von Missständen in der Lieferkette zu erfahren. Damit setzen wir das Prinzip der Angemessenheit nachvollziehbar um.

Das Gesetz greift an unterschiedlichen Stellen der Lieferkette unterschiedlich.

Ich würde gerne eine weitere Klarstellung zur zivilrechtlichen Haftung vornehmen: Selbstverständlich können Betroffene auch weiterhin vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen deutsche Unternehmen klagen. Nur findet nicht das Sorgfaltspflichtengesetz Anwendung, sondern – wie bisher auch – das ausländische Recht. Natürlich hätten wir und auch das Arbeitsministerium uns eine eigene Eingriffsnorm gewünscht. Das war im Wege der politischen Kompromissfindung leider nicht möglich. Auf EU – Ebene wird dieser Punkt aber von der Kommission nach wie vor verfolgt.”

5. Besteht die Möglichkeit, dass das Gesetz durch den Bundestag stark verändert wird? Falls ja, ist eine Tendenz absehbar?

Anosha Wahidi: “Der frühere Verteidigungsminister Peter Struck hat den Satz geprägt, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt. Daran hat auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzes noch einmal erinnert.

Den einen geht der Referentenentwurf zu weit, den anderen, darunter auch dem EU-Justizkommissar, nicht weit genug. Das zeigt mir, dass uns in der Bundesregierung ein guter Kompromiss gelungen ist: Das Gesetz stärkt die Menschenrechte und zugleich trägt es den Einflussmöglichkeiten der Unternehmen Rechnung.”

Unser Fazit zum Entwurf des Lieferkettengesetzes

Wir finden es wichtig, dass ein solches Gesetz endlich in Kraft tritt. Allerdings hätten wir uns noch strengere Regeln gewünscht, die in vorherigen Versionen bereits bestanden.

Klar, Gesetze sind immer eine Gratwanderung verschiedener Interessen. Doch wenn es um etwas so Elementares wie Menschenrechte geht, sind unsere Prioritäten klar: Wir wollen, dass das Gesetz Menschenrechte wirklich schützt und dass Unternehmen ihre Einflussmöglichkeiten wahrnehmen müssen. 

Deshalb fordern wir:

  • Die gleiche Verantwortung entlang der ganzen Lieferkette: Eine abgestufte Verantwortung bietet viele Schlupflöcher. Unternehmen können Zwischenhändler oder Tochterunternehmen „dazwischenschieben“, um bei Menschenrechtsverstößen nur abgestuft verantwortlich zu sein.
  • Auch kleinere Unternehmen müssen schon jetzt Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen. Ansonsten wären 2023 nur 600 deutsche Unternehmen betroffen.
  • Die zivilrechtliche Haftung für Firmen darf nicht vernachlässigt werden. Der jetzige Entwurf geht nicht weit genug; es werden wahrscheinlich sehr wenig Menschen von Klagen Gebrauch machen.
  • Eine stärkere Kontrollierbarkeit kann nur durch Stichproben und unabhängige Besuche garantiert werden. Die Überprüfung von Unternehmensberichten und die Reaktion auf eingehende Klagen reichen nicht aus.

Was denkst Du über den aktuellen Entwurf des Lieferkettengesetzes? Geht er Dir weit genug? Wir freuen uns über Deinen Kommentar!

Du willst noch mehr zum Thema erfahren? Dann schau in unsere Instagram Highlights, in denen wir mit Lisa Jaspers über das Lieferkettengesetz gesprochen haben. Sie startete vor einigen Jahren die Initiative #fairbylaw.

Möchtest Du selbst aktiv werden? Hier geht’s zur aktuellen Lieferkettenbrief Mitmach-Aktion.

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