Alles, was du schon immer über nachhaltige Materialien wissen wolltest

Wir fragen uns täglich: Welches ist das nachhaltigste Material, welche der umweltfreundlichste Färbeprozess, was das beste Siegel für eine faire Produktion? Um in allen Bereichen immer korrekt agieren zu können, frage ich, Christina, regelmäßig meinen ehemaligen Dozenten aus Studienzeiten – schon seitdem ich LOVECO gegründet habe.

Dipl.-Chemiker Norbert Henzel bei LOVECO

Studiert habe ich “Materielle Kultur: Textil” in Oldenburg, wo all diese Themen auf der Tagesordnung standen. Aber die Erkenntnisse in diesem Bereich ändern sich stets. Also wird es immer mal wieder Zeit, sich auf den neuesten Stand zu bringen. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Dipl.-Chemiker Norbert Henzel bedanken, der mir immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht. Hier kommt das erste Interview, es wird noch weitere geben in Zukunft.


Schön, dass Du Dir für mich Zeit nehmen konntest, Norbert! Meine erste Frage an Dich wäre, wie es um Baumwolle steht. Häufig wird die Faser ja kritisiert, weil sie angeblich sehr viel Wasser verbraucht. Ist Biobaumwolle nach wie vor Dein Material-Favorit?

Norbert Henzel: „Baumwolle ist natürlich vom Anteil auf dem Weltmarkt die wichtigste Naturfaser. Konventionelle Baumwolle bereitet hier allerdings große Probleme: Es werden Pestizide, chemischer Dünger und immer mehr Gentechnik eingesetzt. Unter Umständen kann sie auch einen hohen Wasserverbrauch haben, denn häufig wird Baumwollsaatgut so gezüchtet, dass es optimal auf beispielsweise amerikanischen Böden wächst.

Wenn diese Baumwolle in anderen Regionen der Welt angebaut wird, unterliegt sie aber ganz anderen Umweltvoraussetzungen. Amerikanische Firmen wie ehemals Monsanto (jetzt Bayer) dominieren hier den Markt und agieren weltweit mit ihren Produkten.“

Es ist also ein großes Problem für die Umwelt, wenn Baumwolle, die für amerikanischen Boden gezüchtet ist, in anderen Regionen angebaut wird?

Norbert Henzel: „Ja, die benötigt dann sehr viel Wasser. Bei der Alternative, Baumwolle aus kontrolliert biologischem Anbau, sieht es etwas anders aus.

Hier ist der Anbau nur dann problematisch, wenn die Baumwolle dort angebaut wird, wo es wenig oder nie regnet, zum Beispiel in bestimmten Regionen von Afrika. Dann ist auch der Wasserverbrauch bei Biobaumwolle problematisch. Doch bei einem Anbau in Regionen, wo es während der Wachstumsphasen regnet, ist Biobaumwolle ein sehr gutes Produkt.

Wo wäre das? Wie sieht es mit der Türkei und Indien aus?

Norbert Henzel: „Das muss man sich immer stark regional anschauen. Doch in Indien, China oder auch in Südamerika wächst ja schon oft seit tausenden von Jahren Baumwolle. Diese natürlich wachsende Baumwolle würde dort ja nicht wachsen bzw. domestiziert werden, wenn die klimatischen Bedingungen nicht optimal wären.

Biobaumwolle ist auch deshalb mein Favorit, weil mir ein weiterer Punkt sehr wichtig ist, der immer wieder übersehen wird: Wenn Biobaumwolle vernünftig angebaut wird, können davon ganze Dorfgemeinschaften oder Regionen profitieren. Vor allem in Afrika sind dann häufig Frauen die Gewinnerinnen und so etwas finde ich unterstützenswert.

Wenn man sich die Säulen der Nachhaltigkeit anguckt und dann die soziale Säule der Nachhaltigkeit betrachtet, ist diese für Frauen besonders stark ausgeprägt. Bei vielen Studien zur Nachhaltigkeit wird das nicht beachtet.“

Christina: “Ja, das sind schöne Projekte, die dabei entstehen können. Wir beobachten solche Projekte beispielsweise bei People Tree.”

Baumwollfeld mit blauem Himmel im Hintergrund

Wie sieht es bei anderen Naturfasern aus?

Norbert Henzel: „Man kann dann weiter zu Leinen gehen. Leinen ist eine sehr interessante Naturfaser. Ihr größtes Problem ist, dass sich der Anbau in Europa nur dann lohnt, wenn in der gleichen Region auch die Weiterverarbeitung bis zum Garn stattfinden kann.

Vor 25 Jahren hat auch die EU den Flachsanbau (Flachs ist die Pflanze aus dem der Stoff Leinen gewonnen wird) stark subventioniert. Damals hat man bereits gesehen, dass Erdöl endlich ist; man wollte früh genug in nachwachsende Rohstoffe investieren und entschied sich für den Flachsanbau und die Leinenverarbeitung. Schon zuvor war und wird aus Tradition in Belgien und Frankreich viel Flachs angebaut worden.

Heute ist allerdings der Flachs für Bekleidung aus China deutlich günstiger und in der EU wird der Flachsanbau nicht mehr gefördert. So lohnt sich das für die Landwirte hier in Deutschland einfach nicht.“

Auch bei uns zu Hause auf dem Hof gibt es ein Feld, das Flachsrotte heißt. Was ist das?

Norbert Henzel: “Das Rotten ist der Röstprozess, um aus der Pflanze die Faser zu gewinnen. Die Fasern sind zu Bündeln zusammengefasst, die mit Pflanzenkleber (Pektinen) zusammengehalten werden. Diesen Kleber muss man lösen, in einigen Regionen macht man das in Warmwasserbecken und dort lassen sich dann ganz schnell Bakterien und Pilze nieder, die sich vom Pflanzenkleber ernähren, doch eben auch einen Einfluss auf das Wasser und die Tierwelt haben.

Heute macht man das in Europa kaum noch und dann sind eben die Transportwege aus Asien sehr weit. Umweltschonender ist die Tauröste auf dem Acker, doch sie ist auch schwieriger zu kontrollieren. “

Und was ist mit Hanf?

Norbert Henzel: “Hanf ist vom Anbau her auch eine sehr gute Pflanze, doch auch die wird vorrangig aus China importiert.

Der Anbau ist in der EU sehr komplex, weil man nur zertifiziertes Saatgut kaufen darf. Außerdem muss man immer schon Abnehmer für die Faser haben. Politik und Polizei haben sofort Angst bei Hanf, dass der Drogenhandel mit ins Spiel kommt.

Also kommt der meiste Hanf aus China. Hanf für Textilien wird wie Leinen geröstet und das wird in China oft nicht sehr ökologisch getan. Die Röstung wird in Betonwannen durchgeführt und das Wasser wird am Ende einfach in die Umwelt gegeben. Das Wasser ist dann allerdings mit Nährstoffen gesättigt, diese Brühe kommt in Gewässer und die Fische sterben dann zum Beispiel als Folge. Also muss man genau gucken, wo der Hanf herkommt und wie er geröstet wird. “

Detailansicht von Leinenstoff in hellem Grau

Was sagst Du denn zu Bambus / Bambusviskose?

Norbert Henzel: „Das meiste, was als Bambus verkauft wird, darf nicht Bambus genannt werden, weil es Viskose ist. Bambusviskose darf es auch nicht heißen. Das Textilkennzeichnungsgesetz schreibt vor, dass bei Regeneratfasern nicht dabei stehen darf, woraus die Zellulose gewonnen wurde.

Durch die chemischen Prozesse wird es ununterscheidbar, ob der Zellstoff jetzt aus Eiche, Bambus oder Baumwolle gewonnen wird. Die Probleme bei der Viskosegewinnung sind der hohe Energieaufwand bei Anbau und Fasergewinnung, die Monokulturen und der hohe Chemikalieneinsatz.“

Zurück zur Biobaumwolle: Ich habe neulich an einer C&A Filiale den Slogan entdeckt: “Der weltweit größte Anbieter von Biobaumwolle”.

Norbert Henzel: „Das stimmt. Da wechseln sich C&A und H&M in den letzten Jahren immer ab. Nach meiner eigenen Recherche konnte man bei C&A auch Kleidung aus GOTS zertifizierter Biobaumwolle finden; bei H&M nur Mischprodukte, zum Beispiel Kleidung, deren Fasern zu 30% aus Biobaumwolle und zu 70% aus konventioneller Baumwolle bestehen.“

Wie siehst Du solche Tendenzen? Wir brauchen natürlich auch große Unternehmen, die mitziehen, aber C&A bietet auch auch nach wie vor einen großen Anteil konventionelle Baumwolle an. Ist das Greenwashing für Dich?

Norbert Henzel: “Also prinzipiell finde ich es gut, wenn möglichst viel Baumwolle in Bioqualität angebaut wird, wenn das vernünftig gemacht wird und dann tatsächlich auch Menschen die Gewinner sind. Bei C&A und erst recht bei H&M gibt es das Problem, dass sie nicht transparent machen, wo ihre Biobaumwolle herkommt und ob die unter vernünftigen Bedingungen angebaut wurde. Es werden auch keine konkreten Projekte genannt, die davon profitieren.“

Bei Armedangels weiß ich beispielsweise, dass die Biobaumwolle von einer indischen Baumwollkooperative stammt.

Norbert Henzel: “Genau, das verstehe ich dann unter Transparenz. Bei Biobaumwolle sollte sinnvollerweise eine langfristige Projektpartnerschaft mit einem Produzenten oder einer Dorfgemeinschaft eingegangen werden. Es ist ja für die Landwirte auch ein großer Aufwand, ihren Anbau umzustellen. Wahrscheinlich haben sie mehrere Feldfrüchte und müssen dann den Anbau aller ihrer Pflanzen auf einen biologischen umstellen.

Landwirtschaft ist ein komplexes System, man hat nicht nur einen Acker das ganze Jahr lang, auf dem man ernten muss. Oftmals arbeitet man mit anderen Landwirten in einer Gemeinschaft zusammen, man muss Anbau und Ernte je nach Saison und Wetter planen und kombinieren. Hierbei gibt es häufig neben dem Hauptanbauprodukt Zwischenfrüchte oder weitere Agrarprodukte, die alle vermarktet werden müssen. Für alle müssen sich vertrauensvolle Abnehmer finden, mit denen man in ständigem Austausch ist.

Man kann also nicht mal eben einfach so den Anbau seiner Baumwolle auf einen standardisierten Bioanbau umstellen. Das braucht Zeit, Planung, Konzept und viele Ressourcen. Deshalb sollten Labels oder Hersteller auf eine langfristige Zusammenarbeit mit ihren Rohstoffproduzenten achten, denn nur so lohnt sich für diese die Umstellung von konventioneller auf kontrolliert biologische Baumwolle.”

Ich dachte, es sei so ein bisschen wie bei uns in der Landwirtschaft, dass man sein Getreide im Sommer erntet und dann säst Du schon wieder im Herbst aus und dadurch gibt es auch gar keine Zeit, etwas dazwischen anzupflanzen.

Norbert Henzel: “Na ja, bei kontrolliert biologischem Anbau darfst Du ja nicht auf der gleichen Ackerfläche sofort wieder das Gleiche anbauen. Bei Mischkulturen sät man dann einen Streifen aus Baumwolle und nach dem Push-Pull-Prinzip einen aus Sonnenblume und dazwischen noch Knoblauch. Knoblauch vertreibt die Schädlinge der Baumwolle und sie werden zur Sonnenblume gezogen, weil die Insekten viel lieber Sonnenblume fressen. So gibt es in jeder Region verschiedene Push-Pull-Systeme. “

Grundsätzlich findest Du also schon gut, wenn die “Großen” auch Biobaumwolle verwenden, nur die Transparenz fehlt Dir. Weißt Du denn gerade, wie viel Biobaumwolle es weltweit auf dem Markt gibt?

Norbert Henzel: „Der Anteil ist auf jeden Fall wegen des Bürgerkrieges in Syrien gesunken. Syrien war ein wichtiges Land für den weltweiten Biobaumwollanbau, jetzt ist dort alles zerstört. Es gab viele türkische Investoren, die dort den Biobaumwollanbau angetrieben haben. Momentan ist Indien das größte Anbauland für Biobaumwolle.

Ich sehe aber eine große Gefahr für den Anbau von Biobaumwolle, was etwas mit genmanipuliertem Saatgut zu tun hat. Die veränderten Gene können sehr weit übertragen werden, das hat man in Indien herausgefunden. Das Gengut bei naheliegenden Feldern von genmanipulierter Baumwolle und Baumwolle aus kontrolliert biologischem Anbau könnten sich hierbei vermischen. Wenn das passiert, darf die Biobaumwolle nicht mehr als solche verkauft werden. Dadurch könnte es erneut einen weltweiten Rückgang von Biobaumwolle geben.“

Welche Faser ist dann also Deiner Meinung nach die nachhaltigste im Textilbereich und warum?

Norbert Henzel: „Also wenn man es ganz streng nimmt, gibt es keine nachhaltigen Fasern, weil der Anbau jeder Faser ein Eingriff in die Natur ist. Je nach Naturverständnis des Menschen, würden zum Beispiel sehr kritische Menschen auf die Idee kommen, dass man eigentlich keine Faser anziehen dürfte.

Das Ganze ist so komplex, weil man in so vielen Bereichen auf Nachhaltigkeit achten kann: Faire Herstellung, geringer Chemikalieneinsatz, dass man die Kleidung nicht oft waschen muss, etc. Man kann Kleidung immer ganz viele Fragen stellen. Wenn man genug Fragen stellt, ist jede Faser schlecht.

Deshalb macht es Sinn, von der anderen Seite aus zu fragen: Was sind die Kriterien für Fasern, die sehr negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben? Wenn ich so herum anfange und mir die aktuelle Mikroplastik Diskussion angucke, dann müssten eigentlich alle Erdöl basierten Chemiefasern verboten werden. Denn nach jedem Waschprozess gibt es hier einen sehr starken Austrag von Fasern, die in den Klärwerken schwer herauszufiltern sind.

Dadurch geraten sie in Flüsse und Seen und werden perfekte Andockstationen für noch viel mehr chemischen Unrat in den Meeren. Wahrscheinlich wird dieses Mikroplastik dann von aquatischen Lebewesen gefressen und durchgeht die ganze Nahrungskette: Wasserflöhe, Schnecken und Muscheln, Seevögel und Fische, Raubfische und am Ende der Mensch. Es gibt Studien, die zeigen, dass küstennah gefangene Fische voll mit Mikroplastik sind.“

Sind dann die Chemiefasern wie Polyester, Polyacryl, etc., die schlimmsten für Dich?

Norbert Henzel: “Genau. Dann geht es weiter mit den Regeneratfasern auf Cellulosebasis. Dort denkt man, dass das alles kein Problem ist, da ja Cellulose der Grundkörper ist und die sicherlich schnell abgebaut werden. Doch es gibt Hinweise, dass dem unter Umständen nicht so ist: Die Mehrzahl der Regeneratfasern werden als glatte Faser ersponnen. Wenn diese abgebaut werden, müssen sie von Mikroben zersetzt werden und diese können glatte Fasern viel schlechter angreifen.

Bei Fasern wie Baumwolle oder Hanf ist das leichter, da die Fasern zerklüftet und mit Pflanzenkleber zusammengehalten sind. Doch das ist noch nicht hundertprozentig nachgewiesen.“

Damit meinst Du also Lyocell, Tencel, Modal und Cupro?

Norbert Henzel: “Modal, Tencel und so weiter sind schwierig. Meines Wissens gibt es noch keine Studien, die schauen, wie sich diese Fasern im aquatischen System abbauen, also in Flüssen, Seen oder dem Meer.

Ich frage mich ja immer, warum Waschmaschinen nicht längst einen Mikrofaserfilter haben.

Die Bruchstücke sind so klein, dass Du sie so gut wie gar nicht herausfiltern kannst. Mit solch einem Filter würde der Waschprozess sehr energiereich werden – und sehr teuer.

Was hältst Du denn vom Guppyfriend?

Da kann ich noch nicht viel zu sagen. Ich kenne solche Beutel von vor 20 Jahren und die waren alle aus Polyamid und genauso viel Faserabrieb. Aber vielleicht hat sich die Technologie mittlerweile verbessert.

(Ich hab Norbert gleich mal einen mitgegeben, damit er sich das mal genauer angucken kann.)

Fazit

Es ist nicht einfach, alle Materialien zu vergleichen, da viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden müssen: Verbrauch von Ressourcen beim Anbau, Aufwendigkeit der Weiterverarbeitung und Abbaubarkeit. Hierzu gibt es bisher noch keine unabhängigen Studien, die all diese Bereiche durchleuchten.

  • Bei allen Materialien gibt es Vor- und Nachteile, doch Polyester, Polyamid und Viskose schneiden besonders schlecht ab.
  • Biobaumwolle ist ein außergewöhnlich empfehlenswertes Material, wenn der Anbau in Regionen geschieht, in denen Biobaumwolle auch natürlich wachsen würde.

Wir halten die Augen offen, ob in Zukunft ein detaillierter Materialienvergleich veröffentlicht wird, der aus unserer Sicht alle wichtigen Faktoren einbezieht!

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