Warum man mit Second Hand Kleidung die Welt (noch) nicht retten kann

Die Billigtextilkette KiK wird vor einem deutschen Gericht von einer pakistanischen Arbeitsorganisation auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt. Im Jahr 2012 kamen bei einem Brand in einer pakistanischen Textilfabrik über 250 Näherinnen und Näher ums Leben. Wichtige Fluchtwege waren vergittert, Zwischendecken aus Holz beschleunigten das Feuer und Brandmelder lösten nicht aus. Das Unglück ist eine von vielen Tragödien in asiatischen Textilfabriken in den letzten Jahren. Auch die Katastrophe von 2014 in Bangladesch bleibt unvergessen: Durch den Zusammenbruch eines ganzen Fabrikkomplexes starben über 1100 Menschen.

Doch was haben diese Tragödien mit dem Kaufen und Tauschen von gebrauchter Kleidung zu tun?

Darauf gibt es mindestens zwei Antworten.

  1. Die Naheliegende: 99% der Second Hand Kleidung werden in  Fabriken hergestellt, in denen es zu solchen Katastrophen kommen kann – aufgrund von Profitgier.
  2. Die kompliziertere Antwort lautet: Der Kauf von konventioneller Second Hand Kleidung ändert an den bestehenden, ausbeuterischen Produktionsverhältnissen rein gar nichts. Er manifestiert die schädliche Billigproduktion von Textilien.

Second Hand – nur auf den ersten Blick nachhaltig

In den letzten Jahren haben sich, maßgeblich unterstützt von technischen Innovationen, unzählige Tauschringe, Second Hand Outlets und Wochenmärkte gebildet. Hier kann die Kleidung entweder für wenig Geld oder als reines Tauschgeschäft den Besitzer wechseln. Auf der Online-Plattform Kleiderkreisel werden pro Minute über 100 Kleidungsstücke neu zum Verkauf angeboten, teilweise nur einmal getragen.

Aus ökologischer Sicht ist der Erfolg derartiger Plattformen auf den ersten Blick zu begrüßen. Sie mindern den Ressourcenverbrauch beträchtlich und zeigen eine Alternative zu Wegwerfkonsum und Fast Fashion.

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Langfristige Folgen des gesparten Geld

Jedoch steckt auch bei Thema Second Hand Kleidung der Teufel wie immer im Detail.

Um die ökologische Wirksamkeit zu beurteilen ist ein Blick auf das gesamte Konsumverhalten des Käufers notwendig: Was macht der Käufer mit dem Geld, das er beim Erwerb eines gebrauchtes Kleidungsstück spart? Spart er damit auf einen Langstreckenflug (ökologischer Super-GAU)? Unterstützt er ökologische Projekte wie z.B. die Aufforstung von Regenwäldern? Oder kauft er einfach mehr Kleidungsstücke ein?

Mehr und schneller kaufen – Kleiderkreisel macht’s möglich

Diese Betrachtung ist als Rebound Effekt in der Wissenschaft bekannt geworden und seitdem Gegenstand vieler kontroverser Diskussionen. Studien weisen nach, dass der Rebound Effekt zwischen 10% und 30% des ursprünglichen positiven Impacts wieder zunichtemachen kann. Ein Beispiel: Es ist belegt, dass durch Sprit sparende Autos ein Teil der Kosteneinsparung einfach dazu genutzt wird, mehr Kilometer mit dem Auto zu fahren.

Auch im Bereich Second Hand Kleidung tritt ein starker Rebound Effekt auf. Pia Rauschenberger hat das in einer eindrucksvollen Selbststudie bei Kleiderkreisel beobachtet:

„Und so habe ich in den letzten zwei Jahren vom Büro und aus dem Bett fröhlich Kleider, Pullis und Hemden gekauft. Teilweise von Marken, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Oft beinah ungetragen. Für drei bis vier Euro. Ganz ohne schlechtes Gewissen.“ 

Der Rebound Effekt ist nur das kleinere Übel

Die Existenz des Rebound Effekts ist leider nur das kleinere Problem. Viel entscheidender ist nämlich die Frage, was man beim Kauf von Second Hand Kleidung gerade NICHT tut: Nämlich ein Kleidungsstück zu erwerben, dass mit fairer Bezahlung, unter Einhaltung von (Mindest-)Arbeitsstandards und unter Verzicht auf giftige und umweltschädliche Chemikalien produziert wurde.

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Gut gemeint, aber wirkungslos

Wenn ich mich durch reihenweise T-Shirts klicke, die von Primark, Zara und H&M kommen und wo „erst einmal getragen“ darunter steht, frage ich mich, wie nachhaltig kann das sein? Und ist das fair? Wie hilft es den Näherinnen in Kambodscha, wenn ich in Deutschland Secondhand-Mode kaufe? Wird durch Portale wie Kleiderkreisel wirklich weniger und unter besseren Bedingungen produziert? (Pia Reichenberger)

Wir möchten hier keinem vom Kauf gebrauchter Kleidung abraten – im Gegenteil. Gerade im Bereich Kindermode ist es sinnlos, ständig neue Klamotten zu besorgen, die dann ein paar Wochen später nicht mehr passen.

Aber:

Solange die überwältigende Mehrheit aller produzierten Kleidungsstücke aus Fabriken stammen, in denen in regelmäßigen Abständen hunderte Menschen sterben, führt der Kauf von Second Hand Klamotten nur dazu, dass der ausbeuterische Status Quo erhalten bleibt.

Second Hand Mode kaufen, ändert die fürchterlichen Umstände nicht

Es wird zwar insgesamt weniger produziert, die miserablen Bedingungen für die Näherinnen und Näher bleiben jedoch die gleichen. Man könnte sogar behaupten, dass bei sinkender Nachfrage die konventionellen Hersteller noch weiter an der Kostenschraube drehen. Sie senken Arbeitsstandards und drücken den Arbeitslohn der Näherinnen und Näher weiter.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wenn wir es schaffen, dass Fair Trade Kleidung und vegane Mode in der Bekleidungsindustrie die Regel sind und nicht mehr die Ausnahme, dann (aber auch erst dann) macht es wirklich Sinn, durch das Tauschen von Kleidung den Ressourcenverbrauch weiter zu verringern.

Setz Dich mit uns gemeinsam für mehr ein!

Bis es soweit ist, liegt noch ein sehr langer Weg vor uns. Und wenn wir das wirklich noch erleben, sind wir von LOVECO verdammt stolz darauf, zusammen mit Euch Teil einer Bewegung gewesen zu sein, die es geschafft hat, Menschen sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen zu haben und im folgenden Schritt die Verschwendung von natürlichen Ressourcen deutlich verringert zu haben.

Sag‘ uns Deine Meinung dazu!

Kaufst Du viel Second Hand? Hast Du ähnliche Erfahrungen wie Pia gemacht? Wir freuen uns sehr über einen konstruktiven Austausch zu diesem kontroversen Thema! Außerdem planen wir in naher Zukunft, eine Kleidertauschparty mit fairer und ökologisch hergestellter Bekleidung zu organisieren, auf der Ihr Eure schönen alten Teile mit denen von anderen tauschen könnt. Wenn Ihr für dieses Event auf dem Laufenden gehalten werden möchtet, meldet Euch gern für unseren Newsletter an.

Mehr zum Thema Kleidung und Recycling
Nachhaltige Mode: Im Gespräch mit H&M (Franziska Schmid, veggie-love)
Kleider Recycling (X:enius, ARTE)

Fotos:
1 Jen attacks a vintage clothes rack / Joseph Brent – Flickr (CC 2.0), bearbeitet
2 + 3 Franziska Schmid, veggie love

6 Comments

  1. Mandy 19. Juli 2019 at 14:16

    Was mich schon arg schockiert: auf Flohmärkten (vorallem Mädchenflohmärkten) würde es manche Stände nicht geben, wenn man Marken wie H&M und / oder Primark „verbieten“ würde. Diese Stände bestehen nahezu ausschließlich aus diesen beiden Marken. Wo das eingenomme Geld dann hingeht, ist ja offensichtlich…

    Reply
    1. Moritz 30. Juli 2019 at 15:01

      Hallo Mandy,
      naja, es hat ja keiner etwas von „verbieten“ geschrieben. Ich wollte hier nur ein Denkanstoß geben, welche Dinge man unterstützt bzw. gerade nicht unterstützt, wenn man sein verfügbares Einkommen für konventionell hergestellte Second Hand Mode ausgibt.

      Moritz von LOVECO

      Reply
    2. Christine 23. August 2020 at 2:43

      Guter Bericht und so war! Ich denke, billige second hand Mode verführt auch viel mehr zu kaufen als man wirklich braucht. Wir sollten alle weniger Bekleidung kaufen, egal ob second hand, fair fashion oder unfair Fashion.

      Reply
  2. Viola Richter 25. Oktober 2019 at 9:47

    Im Grunde stimme ich zu und denke, dass auch Second-Hand das Problem an sich erstmal nicht löst. Vor allem frage ich mich auch, was die Verkaufenden mit meinem Geld machen? Kaufen sie neue Kleidung?
    Allerdings gibt es beim Second Hand Kauf auch Personen, die nur Kleidung aus genau solchen Läden weiterverkaufen oder die eben nicht aus der aktuellen Mode stammt. Hinzu kommt, dass die Kleidung nicht entsorgt wird oder einfach im Schrank liegt, obwohl sie vielleicht nie mehr getragen werden würde.
    Ich persönlich kaufe generell nur wenig Kleidung und bemühe mich um gute Qualität (im Sinne von natürlichem Material, fester Stoff/längere Haltbarkeit) und kenne auch einige, bei denen die Menge dadurch nicht steigt.
    Anstatt auf öko-soziale Kleidung zu sparen, wünsche ich mir diese eher zu Weihnachten/Geburtstag (wenn ich etwas wirklich brauche) und kann so im Alltag etwas mehr im Bioladen einkaufen.
    Aber klar, wenn wir ausschließlich faire Kleidung kaufen (und danach ggf. tauschen) würden, wäre das auf jeden Fall optimal.

    Reply
    1. Lina Zuppke 28. Oktober 2019 at 16:21

      Liebe Viola!

      Danke für Deinen Kommentar!

      Klingt gut, wie Du das gerade machst, wir hoffen, dass sich dieses Bewusstsein bei noch mehr Menschen so einstellt.

      Liebe Grüße zu Dir!
      Lina von LOVECO

      Reply
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